„Die Euro-WG“: Klischee schlägt Witz
Theateraufführung über die Euro-Krise an der ASS – 11. Jahrgang erlebt den etwas anderen Politikunterricht als Bühnenstück
Wie lässt sich jungen Menschen das komplizierte und sperrige Thema Euro-Krise vermitteln? Regisseur Thomas Nufer und Projektentwickler Dirk Schubert aus Münster hatten eine Idee:
Sie schrieben ein witziges, schräges Bühnenstück mit dem Titel „Die Euro-WG – wo Geld ist, ist es schön“, das am 20.11.2015 in der Pausenhalle der ASS für den 11. Jahrgang im Rahmen des Politikunterrichts aufgeführt wurde.
Eine Wohngemeinschaft als kleinstmöglicher Wirtschaftsraum (neben der Ehe) solle dazu dienen, die komplexe Euro-Krise zu erklären. Die vier WG-Bewohner unterschiedlicher Nationalität stehen stellvertretend für vier europäische Länder und deren Probleme mit der Schulden-Krise.
Paul, der deutsche Hauptmieter, hat sich die neuen WG-Bewohner ausgesucht, um sein WG-Leben bunter zu gestalten – und um die Miete aufzubringen. Aber es wird unablässig gestritten, diskutiert, gekocht und geliebt, denn seine neuen Mitbewohner sind sehr unterschiedlich: Gigolo Antonio hat in Italien seinen Job verloren, muss nun in Deutschland Arbeit finden. Er trifft auf die gut organisierte Sirii aus Finnland, die ihr Stipendium für ein Maschinenbaustudium nutzt und gleich die ersten Monatsmieten parat hat. Anders ist die sinnlich-lebenslustige Xenia aus Griechenland: Sie ist chronisch klamm, findet keinen Job, feiert gerne und schläft durch bis mittags um zwölf. Sie ist das schwarze Schaf der WG. Die unterschiedlichen Lebenseinstellungen und Geldmentalitäten führen zu oftmals grotesken Verrenkungen und Erklärungsmustern: Wer zahlt was in der WG – und bekommt welches Zimmer? Wer bringt Geld mit in die Gemeinschaft und wer muss für seinen Mietanteil zusätzlich arbeiten? Wer ist Sparfuchs und Spaßbremse in der WG?
Die meisten Schülerinnen und Schüler der ASS fühlten sich durch das Stück, das von der Europa-Union NRW getragen wird, gut unterhalten und sie freuten sich über die energiereiche und engagierte Darstellung des WG-Geschehens. Mit Humor und Spielfreude gelang es den Euro-WG-Mitgliedern, die Aufmerksamkeit der Jugendlichen hoch zu halten. Und die Resonanz war zumeist positiv, auch, als Paul mehrfach das Spielgeschehen unterbrach und aus seiner Rolle heraustrat, um mit den jungen Menschen über seine Mitbewohner, die Finanzprobleme der WG und die Euro-Krise ins Gespräch zu kommen oder mit dem für die niedersächsische Premiere des Stückes eigens angereisten Europaexperten Frank Wermter (Student 'Change Management') zu diskutieren, der gerade aus dem Ausland von einem Praktikum beim Auswärtigen Amt zurückgekehrt war und „die EURO-WG“ auf seine Weise interpretierte.
Trotzdem blieb bei vielen Schülerinnen und Schülern ein fader Nachgeschmack: War es nötig, die WG-Bewohner derartig stereotyp darzustellen, dass praktisch jedes Klischee bedient wurde? Marc Leseberg, Lehrer für Politik-Wirtschaft, äußerte sich zweifelnd: „Wir versuchen den Jugendlichen beizubringen, stereotype Vorstellungen über bestimmte Nationen abzulegen, und in diesem Stück werden genau diese Klischees aufgegriffen, wenn zum Beispiel die Griechin Xenia sich Geld leiht, immer feiert und bis mittags schläft, statt zu arbeiten. Das ist kontraproduktiv.“
Der Regisseur, Thomas Nufer, ist anderer Ansicht: „Wir haben die Figuren bewusst etwas überzeichnet und zeigen sie mit Profil, damit sie von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen und nicht hinter einer glatten und beliebigen Fassade verschwinden.“
Die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zu schärfen, mag vielleicht bei vielen Aufführungen nötig gewesen sein, allein in Nienburg funktionierte dieser Ansatz nur bedingt. An der ASS fühlten sich viele der jungen Zuschauerinnen und Zuschauer von der sehr holzschnittartigen Darstellung der Charaktere befremdet, auch wenn sie sich sonst gut amüsiert hatten. Marco Winter, Schüler eines Politikkurses auf erhöhtem Niveau, fasste es so zusammen. „Die Prämisse des Stückes war für uns mit hohen Erwartungen besetzt. Leider scheiterten die Schauspieler schon in den ersten Minuten am eigenen Anspruch, denn viele Darstellungen erwiesen sich als nicht mehr aktuell.“ So bleibt der rasanten WG und ihren Unterstützern, der Niedersächsischen Staatskanzlei und dem Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser sowie der Landesschulbehörde Niedersachsen zu wünschen, dass sie kommenden Aufführungen in Niedersachsen ein wenig Leben einhauchen, damit die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit haben, einer aktuellen Debatte um Europa beizuwohnen und jene durch eigene Ansichten zu bereichern, denn darauf hatten die anwesenden ASS-lerinnen und ASS-ler „richtig Lust“.
Hkl/Le