Capitän geht ohne Tamtam
Sehr geehrter Herr Dr. Weghöft,
Lieber Schulleiter,
oh, jetzt werden einige ihre Köpfe zusammenstecken: Ein Brief an den Schulleiter, warum das?
Viele unserer Schülerinnen und Schüler haben nur am Rande mitbekommen, dass wir Sie zum 31.01.2021 in den Ruhestand verabschieden. Naja, Sie haben das auch nicht an die große Glocke gehängt, sind damit nicht hausieren gegangen, haben uns das nicht aufs Butterbrot geschmiert. Und doch werden Sie, Herr Dr. Weghöft, noch früh genug erkennen, dieser Ausblick sei erlaubt, welch tolle Schülerschaft sich an Ihrer Schule versammelt. Aber zurück zu Ihnen!
Nun geht er, unser 1. Capitän, der sich bestimmt schon unzählige Male vorgestellt hat, wie es ist zu gehen. Einer, der sicher oft haderte mit der Obrigkeit, seiner eigenen Entscheidung oder seiner eigenen Corporalschaft ASS, einer, der 23 Jahre lang an unserer Spitze lief. Manchmal hätten wir uns gewünscht, gleichen Schritt halten zu können, manchmal wären wir gern schneller gegangen, aber immer sind wir zusammen ein Stück vorangekommen. Sie, lieber Chef, haben viele Jahre den Ton angegeben und den Stab geschwungen, die Krone getragen und das Schiff gelenkt. Sie haben 1901 Abiturzeugnisse unterzeichnet und ein Vielfaches an Versetzungszeugnissen. Heute werden Sie versetzt, in den Ruhestand! Und den haben Sie sich redlich verdient, blicken Sie doch zurück auf insgesamt 9 Kultusministerinnen und Kultusminister, die Sie überdauert haben und einen weiteren, der Sie nun überdauert. Das eine oder andere graue Haar haben Sie an den Haushalt der ASS verloren, Sie sind gealtert im Morast der Statistik, die Ihnen mehrfach im Jahr abverlangt wurde, Sie haben Personal eingestellt – mal mit, mal ohne Bart-, wo Hannover keine Kapazitäten mehr hatte, dies zu tun. Sie haben Kolleginnen und Kollegen in großer Zahl an andere Schulformen abgeordnet, ohne recht zu wissen, wie der eigene Bedarf gedeckt werden kann. Sie haben Kolleginnen und Kollegen verabschiedet, darunter auch solche, die mehr als nur ein Grußwort des Landes Niedersachsen verdient hätten. Sie haben neue Gremien an Ihrer Schule installieren, immer wieder Arbeitsgruppen einrichten dürfen, Sie haben unpopuläre Entscheidungen des Landes mitteilen und umsetzen müssen. Ihnen wurde mehr „Eigenverantwortung“ (mitunter eine euphemistische Redewendung des Ministeriums für die Arbeit im Team: Toll, Ein Anderer Macht’s) übertragen und in den Jahren Ihrer Regentschaft haben Sie somit auch immer wieder und immer mehr Gegenwind gespürt. Gegenwind, den Sie oftmals auch verstanden haben. Chef, Sie sind mit Ihrer Crew durch Pisasümpfe, G8 und G9 Gipfel, durch Reformaktivismus, Inklusionsstau und das Zentralabitur gegangen, Sie erleben mit uns die späten Kriechversuche der Digitalisierung und können den Satz „Die ASS wird im Haushalt baulicher Maßnahmen mal wieder nicht bedacht“ schon als Kehrreim singen. Dass auch die mediale Ausstattung eines Gymnasiums unterirdisch ist, darauf haben Sie oft genug hingewiesen.
Den Namen Albert Schweitzers haben Sie in die Welt getragen, denn Sie waren Begleitung jedes unserer Austauschprogramme, haben das Indienprojekt unserer ASS von Anfang an unterstützt und gefördert, immer wieder darauf verwiesen, dass das soziale Miteinander ein Leitbild unserer Schule ist und uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unseren Schülerinnen und Schülern einen engen, aber dennoch Raum gegeben, dieses Miteinander zu leben. Im Rahmen Ihrer Möglichkeiten waren Sie also „stets bemüht“.
Natürlich sind Vorgesetzte immer streitbar, denn nicht jede Entscheidung, die sie fällen müssen, ist populär. Natürlich wäre es einfach, den einen oder anderen Kritikpunkt zu finden, aber können wir ermessen, wie viel Zeit Sie eigentlich wirklich für Ihre ASS investiert haben und wie oft Sie sich die Worte des Zuspruchs für Ihre Mitarbeiter zurechtgelegt haben?
Sie standen immer im Wind und nun in Ihrem letzten Dienstjahr sogar im Sturm.
Sicher hätten Sie sich dieses letzte Jahr ruhiger, sanfter und harmonischer gewünscht. Gerade in diesem Jahr haben wir, Ihr ASS Team, Chefqualitäten schätzen gelernt. Im gesamten Verlauf der bisherigen Pandemie standen Sie schützend vor uns, haben persönliche Worte gefunden, die uns Kraft und Zuversicht gegeben haben, Entscheidungen gefällt, die zu unser aller Wohl waren, Brisanz aus jeder Panikattacke genommen, organisiert und strukturiert. Und es war wichtig, Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, aber Emotionen auch zuzulassen. Sicher hat Ihnen Ihr tiefer Glaube auch geholfen, die richtigen Worte zu finden, Sie haben unsere Angst verstanden und geteilt, in Sorge um Ihre ASS gehandelt und sich aufgeopfert. Und dabei hätten Sie das alles nicht mehr nötig gehabt, wollten Sie doch ohne Abitur und ohne Stress aus dem Amt gleiten, hätten Sie doch schon eher den Hut nehmen können. Trotz familiärer Sorgen sind Sie geblieben bis in ihr 67. Lebensjahr. Und nun können wir uns nicht einmal gemeinsam von Ihnen verabschieden. Das ist schade, unwürdig, ja tragisch! Aber wir wären nicht Ihre ASS, wenn wir nicht einen Plan B hätten. Seien Sie gespannt und freuen Sie sich, hoffentlich!, auf Ende März. Wir wünschen Ihnen zunächst viel Erholung von den strapaziösen letzten 10 Monaten, wir wünschen Ihnen Familienzeit, Muße, das Vergangene Revue passieren zu lassen, ein Lächeln im Gesicht, wenn Sie sich noch einmal einen Kaffee nachschenken, während für uns die Schulglocke läutet, wir wünschen Ihnen Alternativen zum Schulalltag und ganz viel Gesundheit und freuen uns auf das große Adieu, das ganz bestimmt nachgeholt wird.
Ihre Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Albert-Schweitzer-Schule Nienburg
Unserer ständigen Vertreterin, Frau Dr. Gronewold, wünschen wir ein gutes Händchen, Langmut und Eifer, Gesundheit und Zuversicht, Geschäftssinn und Kreativität bei der Bewältigung aller anstehenden Aufgaben in der Interimszeit.