Über Kulturschocks, rote Ampeln und die Liebe Deutschlands für Pläne

Blick über den Tellerrand – Porträts internationaler Gäste an der ASS

50 Bücher auf ihrem Kindle und zahlreiche Bücher zu Hause: Livia ist eine begeisterte Leserin und vertieft sich gerne in englischsprachige Romane.

Gesprächspartnerin: Livia Stromková, Slowakei

Schüler aus vier sehr verschiedenen Ländern sind derzeit zu Gast in der Klasse 11d: Omar Morzenti aus Italien, Livia Stromková aus der Slowakei, Alejandro Peraza aus Mexiko und Iga Tworek aus Polen. Alle vier stellen sich in der nächsten Zeit in einer Porträtserie hier auf der Homepage vor. Dabei schildern sie uns ihre Eindrücke als Gastschüler in Deutschland – ihre Eindrücke von Nienburg und dem Schulleben an der ASS, welche Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten sie am Leben in Deutschland im Vergleich zu ihrer jeweiligen Heimat bemerken, weshalb sie überhaupt in Nienburg sind und, am wichtigsten, wer sie selbst eigentlich sind.

Unsere erste Gesprächspartnerin: Livia Stromková! Livia ist schon zwei Jahre hier und bleibt noch ein weiteres, das aktuelle Schuljahr in der 11d. Sie kann also gar nicht genug von Nienburg und der ASS bekommen. Was dahinter steckt, warum sie manchmal für kurze Zeit in die Slowakei fährt, um dort Klassenarbeiten zu schreiben, wie sie Deutschland und die ASS wahrnimmt, verrät sie im Gespräch und nimmt uns zugleich auf eine kleine geistige Reise mit in die Slowakei.

Viel Spaß beim Lesen und Kennenlernen von – Livia Stromková!

50 BÜCHER AUF DEM KINDLE

Hallo, könntest du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Livia Stromková, ich bin 16 Jahre alt und komme aus Liptovský Mikuláš (deutsch: Liptau (Sankt) Nikolaus; Anm. d. Redaktion) in der Slowakei.

Hast du Geschwister? 

Ja, in der Tat, ich habe zwei Schwestern, eine ist 24 Jahre alt, die andere 19 Jahre alt. Meine jüngere Schwester lebt in der Slowakei. Meine ältere Schwester lebt in der Schweiz.

Und was machst du in der Freizeit?

In meiner Freizeit lese ich sehr gerne. Ich bevorzuge Romane. Der letzte Roman, den ich gelesen habe, war >Homo Faber< von Max Frisch. Ok, das war für den Deutschunterricht. Aber ich habe ein Kindle, auf dem ich 50 Bücher gespeichert habe. Eines meiner Lieblingsbücher ist von Brynne Weaver mit dem Titel >Butcher and Blackbird<.  Die meisten Bücher, die ich lese, sind englischsprachige Bücher, weil ich mein Englisch verbessern möchte. Aber ich lese auch deutschsprachige Bücher, so zum Beispiel von Mona Kasten das Buch >Begin Again<.  Es hat zwar einen englischen Titel, ist aber auf Deutsch geschrieben.

Hast du noch weitere Hobbys?

Ja, ich mache in meiner Freizeit noch Pilates, aber nicht in einem Fitness-Studio, sondern privat zu Hause.

Du hast einen sehr klangvollen und sehr schönen Namen. Kannst du uns erzählen, was er bedeutet?

Ja, mein Vorname Livia bedeutet blau, bläulich, etwas Blaues, und mein Nachname lautet Stromková, was Baum bedeutet.

BLICK AUF FRIEDHOF UND SCHNEEBEDECKTEM BERG

Du kommst aus der Slowakei, einem Land, das gar nicht so weit weg von Deutschland liegt, über das, glaube ich, viele aber sehr wenig wissen. Kannst du uns ein wenig über deine Heimat erzählen?

Bergpanorama in Livias Heimatstadt Liptovský Mikuláš.

In meiner Heimat ist es sehr schön. Es gibt viele Berge. Mein Heimatort ist von Bergen umgeben, auf der einen Seite die Niedere Tatra, auf der anderen die Westtatra. Meine Heimatstadt ist sehr klein, 30.000 Einwohner, etwa so groß wie Nienburg. Aber sie wird von sehr vielen Touristen aufgesucht, denn meine Heimatstadt gilt als das größte Skizentrum der Slowakei. Dort gibt es viele Athleten und Sportler wie Petra Vlhová (slowakische Skirennläuferin, Goldmedaillengewinnerin 2022 bei den Olympischen Spielen, Anm. d. Red.)

Was siehst du, wenn du aus dem Fenster deines Zimmers in eurer Wohnung in der Slowakei blickst?

(Lachend) Einen Friedhof. Und einen schneebedeckten Berg.

Wie sah ein typischer Wochentag aus, als du noch in der Slowakei warst?

Morgens bin ich immer zu Fuß zur Schule gegangen. Nach der Schule ging es nach Hause oder aber zur Musikschule. Dort lernte ich Querflöte. Oft habe ich mich nachmittags mit Freundinnen getroffen. Mit einer davon stehe ich noch im Kontakt und treffe sie immer, wenn ich in der Slowakei bin.

Was hat dich denn nach Deutschland geführt?

Mein Vater arbeitet hier. Er ist Soldat, derzeit dient er im Multinational Civil-Military Cooperation Command hier in Nienburg. Er ist CIMIC-Ausbilder und unterrichtet Kommunikation, Projektmanagement, Analyse und Führungsprozesse. Er ist drei Jahre hier. Eigentlich ist er in der Slowakei Sportlehrer. Meine Mutter ist mitgekommen, hat aber keine Arbeitserlaubnis. Sie ist hier Hausfrau.

Immer mal wieder bin ich in der Slowakei, denn eigentlich gehe ich zu zwei Schulen gleichzeitig, zur ASS und zu meiner Schule in der Slowakei. Da muss ich jeden August schriftliche und mündliche Prüfungen ablegen.

„IN DEUTSCHLAND, SO MEIN EINDRUCK, MUSS ALLES GEPLANT WERDEN.”

Mit welchen Vorstellungen bist du hier nach Deutschland gekommen? Und: Hat sich diese Sichtweise nach bereits zwei Jahren, die du hier bist, verändert?

Ich hatte die Vorstellung: In Deutschland ist alles groß, schön, moderner als in der Slowakei. Meine Erdkundelehrerin hatte gesagt, dass Deutschland zu den am höchsten entwickelten Ländern gehört. Und natürlich dachte ich, dass man hier Oktoberfest feiert. Das ist natürlich ein Cliché.

Jetzt habe ich eine andere Sicht. Nienburg ist schön, aber klein. Und hier ist kein Oktoberfest. Aber ich mag das Altstadtfest.

Und es ist nicht alles modern. In Nienburg und Bremen sind sehr viele alte Gebäude, alte Architektur. In Berlin und Hannover ist das moderner.

Was fällt dir denn auf, wenn du die Slowakei mit Deutschland vergleichst? Also: Land, Leute, Lebensstil, Mentalität…

Die Leute sind hier viel verschlossener als in der Slowakei. Aber wenn man sie näher kennengelernt hat, sind sie sehr freundlich. In meiner Heimat sind die Menschen offener.

In Deutschland, so mein Eindruck, muss alles geplant werden. Bei Verabredungen macht man einen Termin, in der Slowakei ruft man an und fragt, können wir uns treffen, und dann geht das spontan.

Kulturelle Unterschiede halten bisweilen so manche Fettnäpfchen bereit. Bist du schon einmal in ein Fettnäpfchen getreten?

Ah, ja, das bin ich. In Deutschland wartet man an der roten Ampel. Ich aber gucke, ob ein Auto kommt, und gehe rüber. Aber nur manchmal, wirklich.

IN DER SLOWAKEI WERDEN SCHÜLER JEDE STUNDE AN DIE TAFEL GEHOLT

Du besuchst nun seit der 9. Klasse, also seit 2 Jahren, die Albert-Schweitzer-Schule. Welche Schule besuchst du in der Slowakei?

Da gehe ich zum >Gymnázium Dominika Tatarku Poprad (bilingualna sekcia)<. Das ist eine sehr große Schule. Es gibt zwei Gebäude, und die Schule beherbergt eine Grundschule – in der Slowakei geht man in der Regel neun Jahre zur Grundschule, ein 8-jähriges Gymnasium, ein 4-jähriges Gymnasium und ein bilinguales Gymnasium.

Dein Deutsch ist sehr gut. Konntest du vor deinem Umzug nach Deutschland bereits deutsch?

Nein, da konnte ich gar nichts. In der Slowakei hatte ich Russisch als zweite Fremdsprache. Ich habe erst hier Deutsch gelernt. In den ersten zwei Jahren hatte ich noch zusätzlich eine Nachhilfedeutschlehrerin, aber jetzt nicht mehr. Ich gehe aber, neben der ASS, inzwischen auf das bilinguale Gymnasium meiner Schule. Das arbeitet mit einer Schule in Deutschland zusammen. Wir haben sogar deutsche Deutschlehrer dort.

Du hast nun Unterrichtserfahrung an der ASS gesammelt. Was hast du beobachtet?

In der Slowakei gibt es keine schriftlichen Arbeiten wie hier. Wir schreiben Multiple-Choice- und Lückentests mehrmals pro Monat, und manchmal schreiben wir auch vier oder fünf aus verschiedenen Fächern an einem Tag. Mündliche Mitarbeit zählt nicht mit in die Note. Aber in jeder Stunde wird jeweils ein anderer Schüler nach vorne an die Tafel geholt. Da muss der Schüler sagen, was gelernt wurde. Oder Berechnungen durchführen. Zum Beispiel in Physik.

Genau wie hier gibt es auch Tablet-Computer, die von den Schülern genutzt werden.

Welches Notensystem gibt es denn in der Slowakei?

Es gibt Noten von 1 bis 5. 1 ist die beste.

Und welchen Eindruck hast du von Lehrern und Schülern im Vergleich zur Slowakei?

Schüler in der Slowakei sind respektvoller gegenüber den Lehrern. Und Lehrer siezen die Schüler und reden sie mit Vor- und Nachnamen an. Lehrer sind in der Slowakei viel strenger, manche machen einem auch Angst.

In Deutschland sind Lehrer netter und nicht so streng, aber wertschätzend gegenüber Schülern.

„DAS WAR EIN KULTURSCHOCK!”

Gibt es etwas, das dir an unserer Schule ganz besonders aufgefallen ist?

Livia strebt einen Beruf im medizinischen Bereich an und würde gerne in der Slowakei in der Zahnmedizin arbeiten.

Ja. Der Abistreich. Das war ein Kulturschock für mich. So etwas gibt es an meiner Schule in der

Slowakei nicht.Und dann springen die in den Teich bei der Schule. Mir gefällt das sehr. Aber ich würde nicht ins Wasser springen.

Über das Deutsche sagt man immer, es sei eine schwierige Sprache. Kannst du das bestätigen?

Und hast du da vielleicht Lieblingswörter für dich entdeckt?

Ja, das stimmt. Deutsch ist sicher nicht einfach. Aber es hat tolle Wörter. Ich liebe das Wort ‚doch‘. Und es gibt furchtbar lange Wörter. eines habe ich aufgeschrieben. Ja, hier in meinem Smartphone: ‚Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze‘. Verrückt!

Und wie sieht es mit der slowakischen Sprache aus? Und gibt es da Wendungen, die gerade ‚in‘ sind?

Slowakisch ist für Ausländer sehr schwer. Die Grammatik. Nicht für mich.

Häufige Wörter? Ich selbst gebrauche oft das Wort ‚hej‘, das ist so ein schnelles ‚Ja!‘.

Lustig ist das Wort ‚štvrtok‘. Kein Deutscher kann es aussprechen. Es bedeutet Donnerstag.

Du bist ja jetzt deutschlanderfahren. Welche Tipps hättest du für deutsche Schüler, die Gastschüler in der Slowakei sein möchten, um dort anzukommen, sich zu integrieren, sich heimisch zu fühlen? Und welche Fehler sollten vermieden werden?

Wenn man als deutscher Schüler in die Slowakei käme, wären alle sehr nett und hilfsbereit. Man würde sofort umringt und jeder wollte mit einem Deutschen sprechen. Und natürlich müsste man Slowakisch lernen, um richtig anzukommen. Aber Slowaken schmunzeln dann auch sehr über den deutschen Akzent.

Und man sollte Geld mitbringen, denn es ist sehr teuer in der Slowakei. Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch.

„IN DER SLOWAKEI SIND JUGENDLICHE GANZ ANDERS.”

Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen deutschen und slowakischen Jugendlichen oder ähneln sich Jugendliche sehr?

Nein, in der Slowakei sind Jugendliche ganz anders. In Deutschland hat man viele Hobbys, in der Slowakei eher nicht. Vielleicht geht man ins Fitness-Studio oder so. Und große Geburtstagsfeiern, zu denen die Freunde nach Hause eingeladen werden, gibt es nicht. Nur bis zum 10. Geburtstag vielleicht. Slowakische Jugendliche denken erwachsener, zielbezogener darüber, was sie im Leben später machen wollen.

Was waren denn deine schönsten Erlebnisse hier in Deutschland? Und was hast du noch auf der ‚Bucket List‘ hier, was du unbedingt machen möchtest?

Ganz klar: Die Berlinfahrt in der 10. Klasse. Die war toll. Und mein Besuch des Kölner Doms. Und dann natürlich das Altstadtfest mit meinen Freundinnen. Oder der Jahrmarkt in Rodewald.

Die Flagge der Slowakei weist die Farben zahlreicher slawischer Länder auf und kennzeichnet deren Zusammengehörigkeit. Das christliche Erbe fíndet sich in dem Kreuz – und die drei Berge stehen für die Gebirgszüge der Fatra, Matra und der Tatra – auf letzteren blickt Livia, wenn sie in der Slowakei aus dem Fenster blickt. (Quelle Pixabay)

Ich würde gerne noch nach Frankfurt oder München. Aber München ist sehr weit weg, um mit Freundinnen dahin zu fahren.

PLÄNE UND MITBRINGSEL

Nach dem Ende des Schuljahres geht es für dich wieder zurück in die Slowakei. Was strebst du dann an?

Ich möchte da intensiv lernen und gute Noten schreiben. Vielleicht studiere ich später etwas mit Medizin. Zum Beispiel Zahnmedizin, Zahnpflege. Da braucht man ein Studium mit ‚Bachelor‘-Abschluss.

Zum Abschluss noch eine Frage, auch wenn sie verfrüht ist und du noch über ein halbes Jahr hier bist. Welche Mitbringsel möchtest du gerne in die Slowakei mitnehmen und was nimmst du in deinem Herzen mit?

Also, als Mitbringsel. Da auf jeden Fall >Rossmann<, das gibt es nicht in der Slowakei. Ansonsten die schönen Erinnerungen. Aber am liebsten würde ich als Mitbringsel meine Freundinnen hier mitnehmen. Die werde ich sehr vermissen.

Vielen Dank für das Interview. Und: Dovidenia a všetko dobré!

Vh

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