„Lesen ist überhaupt nicht mühselig. Man kann in andere Welten eintauchen!“

Peer Bartz, 6a, Bundesfinalist des 66. Vorlesewettbewerbs

Peer Bartz schafft es beim Vorlesewettbewerb bis zum Bundesfinale / Ein Interview über den Reiz des Lesens, Aufregungsbewältigung und Blicke hinter die Kulissen im Fernsehstudio

551.372 Schüler aus 25.094 sechsten Klassen von 7.080 Schulen in ganz Deutschland. Es sind beeindruckende Zahlen, mit denen der 66. Vorlesewettbewerb aufwarten kann. Jetzt, am 25. Juni, fand das Bundesfinale in Berlin statt. Mit dabei: 1 Schüler, Klasse 6a, Albert-Schweitzer-Schule. Sein Name:  Peer Emil Søren Bartz. Peers Weg beim Vorlesewettbewerb hatte ihn vom Schulentscheid über den Kreisentscheid, den Landeswettbewerb bis hin zum Bundesfinale gebracht. Eine äußerst bemerkenswerte Leistung, von der bereits die beeindruckenden Zahlen am Anfang zeugen, denn nur 16 Schülerinnen und Schüler von 551.372 Teilnehmern lasen sich mit ihrem Vortragstalent bis ins Bundesfinale nach Berlin. Doch Peers Erfolg ist mehr als trockenes Zahlenwerk. Im folgenden Interview möchten wir uns einen Eindruck verschaffen: Wer ist das, der es von der ASS so weit geschafft hat? Wer kann denn so gut lesen? Und warum? Und wie hört sich das an? Was ist beim Lesen wichtig? Und: Was liest er denn so? Im Interview stellt sich Peer unseren neugierigen Fragen.

Hallo Peer. Du hast in der letzten Zeit viele Schlagzeilen gemacht, einmal durch deine Teilnahme an vielen Projekten und Wettbewerben an der Schule – erst vergangenen Freitag wurdest du vom Förderverein gewürdigt -, dann aber gerade durch deine Erfolge beim Vorlesen. Für die, die noch nicht von dir gehört haben – könntest du dich kurz vorstellen?

STECKBRIEF PEER

Ja klar. Ich heiße Peer Emil Søren Bartz. Ich lese gerne, interessiere mich aber auch für andere Dinge. Mathematik, Physik, Naturwissenschaften überhaupt. Ich habe noch erwachsene Halbgeschwister, die sind aber schon über 30. Zwei Brüder und zwei Schwestern.

Peer mit seiner Siegerurkunde des Landesentscheides in der Hand vor dem Landtag.

Manchmal hat man den Eindruck, dass – obwohl es viele begeisterte Bücherwürmer unter Schülern gibt – das iPad oder Handy die Aufmerksamkeit vieler Schüler fesselt, weniger das Buch. Was hat dich zum Lesen gebracht?

Das hat mich schon immer interessiert. Das fing bereits an, als ich noch nicht lesen konnte: Was steht da? Das wollte ich immer wissen. Bei uns zu Hause gibt es viele Bücher. Im Regal entdeckte ich eines Tages >Ronja Räubertochter<. Das war das erste Buch, das ich las. Meine Eltern haben mich sehr beeinflusst. Mein Interesse gilt dabei weniger Fantasy-Büchern. Da ist immer so viel gleichzeitig, so viel Geschehen, zu viele Einzelereignisse und Effekte. Und ich schreibe auch kurze Geschichten, zum Beispiel über Außerirdische, die auf der Erde irgendwo landen. Ich habe auch für den Vision Award geschrieben zum Thema ‚Meine Schule in 100 Jahren‘.

„EIN BUCH MUSS MAN ANFASSEN UND RIECHEN KÖNNEN”

Was fasziniert dich an Büchern, am Vorlesen?

(Denkt lange nach) Ach, das ist so, ich lese keine Bücher elektronisch, in E-Book-Readern. Ein Buch, das muss man anfassen, riechen können. Ich kann beim Lesen in Geschichten eintauchen. In andere Welten. Und man muss es genießen können. Ich mag Bücher von Erich Kästner, Jules Verne, Robert Louis Stevenson, Astrid Lindgren.

Hast du Lieblingslektüren? Welches Genre liest du am liebsten?

Peer mit Urkunde beim Bundesfinale 2025

Gerne die Klassiker. Abenteuerromane. Wie etwa Stevensons >Schatzinsel<. Dann lese ich gerne die >Känguru-Chroniken< (vier Textsammlungen des deutschen Autors, Liedermachers und Kabarettisten Marc-Uwe Kling, Anm. d. Redaktion), insbesondere das >Känguru-Manifest<, die >Känguru-Offenbarung< und die >Känguru-Apokryphen<. Die sind eigentlich für Erwachsene, mit viel Witz geschrieben, gesellschaftskritisch. Da fällt mir gleich ein Spruch ein. Das Känguru sagt: „Mein, dein… Das sind doch bürgerliche Kategorien.“

„MEIN VATER HAT MIR VORGELESEN – UND ICH MUSS SAGEN: ER KANN GUT LESEN.’’

So, so. Und wem hast du dein Lesetalent zu verdanken? Liegt das in der Familie? Und wodurch bist du so gut geworden? Elternhaus? Schule?

In meiner Familie wird viel gelesen. Das Haus ist voller Bücher. Mein Vater hat mir oft vorgelesen, selbst, als ich schon in der 5. Klasse vor. Und ich muss sagen: Er kann gut lesen.

Du bist gerade aus Berlin wiedergekommen und hast am Bundeswettbewerb mit 15 anderen Vorlesern teilgenommen – von 551.371 ursprünglichen Vorlesern bundesweit. Gigantisch! Dabei begann alles ganz beschaulich in Nienburg an der ASS. Erzähl uns doch einmal, wie es zu deiner Teilnahme und dem Gang über immer höhere Wettbewerbsstufen gekommen ist!

Das war im Deutschunterricht bei Frau Berthold. Die ist meine Deutsch- und auch Klassenlehrerin. Da gab es den Vorlesewettbewerb in der Klasse. Der war freiwillig. Für mich war klar: Da mache ich mit. Die Lektüre war >Der 35. Mai< von Erich Kästner. Ein Onkel und sein Neffe Konrad treffen ein sprechendes Pferd, Negro Kaballo. Und das will Zucker, und es ist der 35. Mai. Das Pferd kommt dann auf die Idee, in die Südsee zu reisen. Und in der Geschichte gibt es Gehwege, die sich bewegen. Und selbstfahrende Autos. Das hat der schon damals geschrieben. Und heute gibt es das, Rolltreppen und selbstfahrende Autos.

Völlig richtig. Auch wenn sie hier in Deutschland natürlich noch nicht zugelassen sind. In Amerika, in San Francisco, zum Beispiel, fahren diese Waymo-Taxen ohne Fahrer herum. Die sind so auf Sicherheit getrimmt, wenn man sich vor die Autos stellt, fahren die nicht weiter. Da werden manchmal Streiche gespielt, und Fahrgäste kommen nicht weiter. Auch die Realität ist also manchmal lustig. Auf andere Weise. Warum hattest du dieses Buch ausgesucht?

Ich habe es ausgewählt, weil es Witz hat.

TIPPS GEGEN LAMPENFIEBER

Und von da ging es dann über die anderen Wettbewerbsstufen weiter. Viele können sich gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man an großen Wettbewerben teilnimmt. Hast du Tricks, wie du Lampenfieber und Nervosität in den Griff bekommst?

Nun, ich versuche, ruhig zu bleiben. Kurz vor dem Lesen atme ich noch einmal tief durch. Das Publikum stört eigentlich nicht. Ich bemerke es gar nicht so.

Lass uns einmal aus erster Hand erfahren, wie das in Berlin war. Wann warst du da, wann war der Wettbewerb? Wo fand er statt? Vor allem: Wie hast du das Finale und die Zeit in Berlin erlebt?

Nun, ich bin am 23. Juni mit meinen Eltern nach Berlin gereist. Meine Deutschlehrerin, Frau Berthold, kam zum Wettbewerb am 25. Juni angereist. Das Finale fand in einem Studio des RBB statt. Da gab es erst einmal eine Begrüßungsrunde, wir haben auch Turnbeutel mit Sachen bekommen, zum Beispiel ein T-Shirt, das für das Gruppenfoto getragen werden sollte. Wir haben dann auch eine Stadtrallye unternommen mit Fragebögen, so etwas wie ‚Geht zu Punkt 37 und beantwortet die Frage dort.‘

Bevor du vor die Kamera getreten bist, warst du hinter den Kulissen. Gewähr uns doch einmal einen Blick dahinter! Musstest du in die Maske, wurdet Ihr vorbereitet? Wie hast du die Moderatoren und das Fernsehen erlebt?

Es gab eine Generalprobe, für den Ablauf und die Tonprobe. Der Raum war gesäumt von Scheinwerfern. Es ging ins Studio, ein großer Raum, der durch Stellwände abgetrennt war. Wir mussten auch in die Maske, aber da war nicht viel zu tun. Und die Vorjahressiegerin Léni Falkenstein war auch da und war sehr nett. Die Moderatoren beim Finale aber fand ich doch sehr anstrengend. (Überlegt länger, wie er es ausdrücken soll). Die waren so, so locker, extrem locker. Anstrengend, ja.

Du musstest als Letzter lesen. Das kann von Vorteil sein, aber auch nachteilig, weil man bibbert. Wie war das für dich?

Der Vorteil ist natürlich, dass die Jury einen zuletzt hört. Man bleibt im Ohr.

BEIM HINHÖREN HABE ICH GEDACHT: HM, DAS KÖNNTE KNAPP WERDEN.

Hattest du dadurch aber nicht auch die Gelegenheit zu hören, welche Vorlesetechniken die anderen verwenden, um so davon zu profitieren?

Natürlich konnte ich hören, wie die anderen lesen. Beim Hinhören habe ich gedacht: Hm, könnte knapp werden. Der Nachteil war für mich: Das Finale war in zwei Blöcken. Dazwischen war so ein komischer Rap. Aber die Moderatoren hatten vergessen, nach dem ersten Durchgang von 8 Vorlesern diese rauszuschicken. Und wir saßen jeweils zu zweit auf so Würfeln. Die waren ungepolstert. Und so musste ich die ganze Zeit sehr unbequem mir den Würfel teilen. Das war anstrengend.

VORBEREITUNG AUF DAS FINALE: DREI BÜCHER LESEN ÜBER’S WOCHENENDE

Deine Lektüre lautete >Oma verbuddeln<. Der Ausschnitt erschien mir nicht ohne Anspruch, mit Risiken, weil dort zwischen der wörtlichen Rede Einschübe waren.  Wie kam es zu dem Text?

Ich fand den Text nicht so anspruchsvoll. Die Einschübe waren natürlich schwieriger. Die Lektüre habe ich mir aus drei Büchern ausgewählt. Die hatten wir in der Woche zuvor genannt bekommen. Ich habe mir die drei Bücher geholt und über das Wochenende gelesen. Ich habe mich dann für >Oma verbuddeln< von Birgit Schössow entschieden, weil es witzig ist, aber auch rührend. (Zur Information:Die Geschwister Mina, Paul und Annie haben nach dem Tod ihrer Mutter nur noch ihre Nachbarin, Frau Mattuschke. Das Kinderheim droht. Zum Glück taucht dann noch eine unbekannte Oma auf. Bei der Recherche für ihre Kriminalromane war sie jahrelang in der Welt herumgereist und außerdem verkracht mit der Mutter. Nun möchte aber diese Großmutter wieder gutmachen, was sie so lange versäumt hat: Sie nimmt die drei in ihrem Haus an der Ostsee auf, und tatsächlich wird aus Oma und den Kindern samt Frau Mattuschke ein richtig gutes Gespann. Als sich eines Tages wieder ein Sterbefall abzeichnet, nehmen die Kinder ihr Schicksal selbst in die Hand und schmieden einen ausgeklügelten Plan, der auch aus Omas Feder stammen könnte. Anm. d. Redaktion)

Zwar hast du diesen einen Wettbewerb nicht gewonnen, aber deine Lesekunst ist wirklich bemerkenswert. Wie hast du den Ausgang des Wettbewerbs empfunden?

Natürlich war ich ein wenig enttäuscht, nicht gewonnen zu haben. Aber schließlich habe ich mir gesagt: ‚Dann lasse ich das eben hinter mir.‘

Was wird dir in Erinnerung bleiben – und welchen Preis durftest du mitnehmen?

Ich habe zwei Bücher erhalten und eine Teilnahmeurkunde. Mitnehmen werde ich auch, dass ich andere Kinder kennengelernt habe. Wir haben da auch schon Nummern ausgetauscht. Natürlich wird das Kontakthalten nicht so einfach. Aber dennoch. Und dann wird mir auch der Besuch des Fernsehstudios in Erinnerung bleiben. Das ist ja schon etwas.

„LESEN IST NICHT MÜHSAM’’

Der Wettbewerb hat auch zum Ziel, das Interesse am Lesen zu wecken – eine ganz wichtige Kulturtechnik und von großer Bedeutung für Heranwachsende. Einige trauen sich nicht an Bücher oder finden sie anstrengend oder langweilig. Welche Tips kann man von dir erhalten? Warum ist Lesen wichtig? Was ist der richtige Weg, um Lesen nicht als Mühsal, sondern als Vergnügen zu empfinden?

Nun. Lesen ist nicht mühsam. Man muss sich auf eine Geschichte einlassen, sich in eine Geschichte vertiefen. Und dann ist die Außenwelt völlig weg. Lärm bekomme ich dann gar nicht mit. Wenn ich in der Bibliothek (hier am Triftwegsgebäude, Anm. d. Redaktion) sitze und lese, ist da schon manchmal richtig Lärm. Aber den bemerke ich gar nicht. Erst, wenn eine Lehrerin zischt und um Ruhe bittet, schrecke ich auf. Außerdem ist das Lesen doch spannend. Zum Beispiel Stevensons >Schatzinsel<. Da kommt Jim Hawkins in eine Hütte. Und die Leute, die da wohnten, waren immer auf seiner Seite. Aber in der Hütte waren die Leute diesmal nicht, die waren geflohen, sondern da waren Piraten. Und die nahmen ihn gefangen. Was wird also jetzt geschehen? Das ist spannend!

Hast du Lieblingshelden in der Literatur? Oder Hassfiguren?

Nein, eigentlich nicht. Eine Lieblingsfigur? Das entscheidet sich immer in jedem Buch allein.

Zuletzt: Gib uns doch einmal Tipps: Worauf sollte man achten, um gut vorzulesen?

Die Betonung ist wichtig, dabei vorauslesen zu können. Und natürlich die Betonung bei wörtlicher Rede. Die muss man variieren. Und Emotionen ausdrücken, natürlich.

Du weißt ja, wir sind hier in der Schule, und da kannst du noch so viel vom Lesen reden und uns darüber erzählen, in der Schule gibt es immer eine Note oder Bewertung. Deshalb soll noch deine Deutschlehrerin, Frau Berthold, zu Wort kommen. Sie würdigt aber keinen Einzelwettbewerb, sondern dich als Vorleser und Person. Wie lautet also ihr gestrenges Urteil?

Frau Berthold:,,Peer ist ein wirklich beeindruckendes Beispiel für Zielstrebigkeit und echte Lesefreude. Er bleibt immer am Ball, liest mit großer Begeisterung, und zwar nicht nur mal eben zwischendurch, sondern richtig intensiv. Sein Zimmer besteht gefühlt ausschließlich aus Büchern (das ganz Haus, ich war schon da, um ihm Bücher vorbeizubringen), andere Medien interessieren ihn kaum. Dabei greift er selten zu moderner Literatur, sondern bevorzugt klassische Werke von Robinson Crusoe über Jules Verne bis hin zu anspruchsvoller Kinderliteratur, die oft deutlich über dem Altersdurchschnitt liegt. Er liest sie nicht in den neuen Fassungen, sondern in den alten, teilweise Originalfassungen. Ihm ist die Auswahl des Buches beim Finale sehr schwer gefallen (die Bücher waren vorgebenen und er hatte keine große Auswahl), da die Bücher nicht unbedingt seinem Geschmack entsprochen haben. Auch die Känguru-Chroniken mag er sehr. Er versteht Ironie und Sarkasmus sehr gut und hat selbst einen tollen Humor. Dies merkt man auch an Texten, die er verfasst. Was mich besonders fasziniert, ist, wie tief er das Gelesene durchdringt. Er liest nicht einfach nur, er denkt mit, stellt Bezüge her, erkennt Zusammenhänge. Das ist erstaunlich für sein Alter. Und genau das merkt man auch beim Vorlesen: Es ist betont, reflektiert und trägt eine Ernsthaftigkeit in sich, die in dem Alter wirklich nicht selbstverständlich ist. Es macht einfach Freude, sich mit ihm über Bücher auszutauschen. Man kann ihm Empfehlungen geben, auch durchaus anspruchsvolle (>Sophies Welt<, oder >Yuri Harai – warum die Welt nicht fair ist<…) und er nimmt sie gerne an, setzt sich damit auseinander. Und das gilt nicht nur für Deutsch, sondern spiegelt sich auch in anderen Fächern wider. Diese Haltung, Dinge zu hinterfragen, Sinn zu erkennen und sich wirklich darauf einzulassen, finde ich persönlich sehr beeindruckend.”

Statt einer Note ein ganzer Text zum Lesen für Dich. Irgendwie passend! Zuletzt gehört noch einmal nur Dir die Bühne: Du hast eine Lektüre mitgebracht. Gerne würden wir einmal hören, wie du liest. Na, dann los.  Gib uns doch einmal eine Leseprobe! Alle Leser müssen jetzt auf den angefügten Videoclip klicken – und schon könnt Ihr Euch von Peer etwas vorlesen lassen. Und wir wissen – es ist nicht mühsam, sondern Ihr könnt es genießen! Peer, jetzt schon einmal: Vielen Dank für das sehr anregende Interview!

Vh

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