,,Hier musste ich den ersten Schritt machen. Aber dann war es super!“

Blick über den Tellerrand – Portraits internationaler Gäste an der ASS

Gesprächspartner: Omar Morzenti, Italien

Omar Morzenti in seinem Lieblingsraum an der ASS, der Bibliothek auf der 100er-Ebene.

Schüler aus vier sehr verschiedenen Ländern sind derzeit zu Gast in der Klasse 11d: Omar Morzenti aus Italien, Livia Stromková aus der Slowakei, Alejandro Peraza aus Mexiko und Iga Tworek aus Polen. Alle vier stellen sich in der nächsten Zeit in einer Portraitserie hier auf der Homepage vor. Dabei schildern sie uns ihre Eindrücke als Gastschüler in Deutschland – ihre Eindrücke von Nienburg und dem Schulleben an der ASS, welche Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten sie am Leben in Deutschland im Vergleich zu ihrer jeweiligen Heimat bemerken, weshalb sie überhaupt in Nienburg sind und, am wichtigsten, wer sie selbst eigentlich sind.

Unser heutiger Gesprächspartner: Omar Morzenti! Omar hat 3 Monate an unserer Schule verbracht und kehrt nun wieder zurück nach Italien. Leider. Wir würden ihn gerne behalten. Gerne würde auch  er das ganze Jahr bleiben, aber an seiner sehr strengen Schule in Bozen müsste er dann das Jahr wiederholen. Aber im Herzen nimmt er Freunde für die Ewigkeit mit – und Erlebnisse, über die Omar, der Redegewandte, doch eigentlich sehr breit Auskunft geben könnte. Doch lesen wir selbst über Omar und seine Deutschlandreise.

VON PRINZEN DORFLEUTEN UND DEM REDEGEWANDTEN

Omar ist passionierter Schauspieler. Zuletzt galt es, >Warten auf Godot< zu rezitieren.

Hallo, könntest du dich kurz vorstellen?

Ja, mein Name ist Omar Morzenti. Ich bin 17 Jahre alt und komme aus Italien, aus der Provinz Südtirol.

Erzähl uns bitte ein wenig über deine Familie! 

Ich habe eine große Familie, aber meine engste Familie ist sehr klein. Meine Mutter, Cristina, ist Grundschullehrerin. Und da ist meine Schwester Jasmin, sie ist 15.

Und was machst du in der Freizeit?

Ach, ich habe wenig Freizeit. Meine Schule ist sehr anspruchsvoll, es ist eine Schule mit  wissenschaftlich-mathematischem Schwerpunkt.

Aber ich nehme auch an Kursen teil, nämlich Musical und Theater. Und ich gehe mit meinen Freunden aus, zum Eisessen, ins Schwimmbad, zum Schlittschuhlaufen oder Keksebacken.

Eines deiner Hobbys ist das Schauspiel, Musik, Musical. Erzähl doch mal!

Es gibt einen Wettbewerb unter den Schulen in mehreren Kategorien. Singen, Tanzen, Kunst und so weiter.  Für jede Kategorie gibt es Punkte für die Schule, je besser die Schule abschneidet, umso mehr.

Ich bin in zwei Kategorien dabei. Einmal Musical, dann Schauspiel. Das bedeutet: Beim klassischen Schauspiel rezitiert man, zum Beispiel >Warten auf Godot< von Samuel Beckett. Dann gibt es das komödiantische Schauspiel. da müssen wir ein etwa 7 Minuten langes Schauspiel selbst schreiben – und das muss lustig sein. Denn man hat die Aufgabe, das Publikum zum Lachen zu bringen.

Und dann wäre noch das Musical.

Ja, und als nächstes spielen wir >Grease<. Da bin ich einer der ‚Boys‘, eine Nebenfigur. Um eine Hauptfigur spielen zu können, muss man singen können. Das kann ich nicht.

Zuletzt hatten wir >Cinderella< (zu deutsch: Aschenputtel, Anm. d., Redaktion) aufgeführt. Mitspielen konnte man entweder als einer der Dorfleute oder einer der Prinzen. Dorfleute spielen Schüler, die nicht tanzen können. Ich war ein Prinz (grinsend)

Unsere Schule ist in den Kategorien richtig gut. Im Schauspiel und Musical haben wir erste und zweite Plätze belegt.

Im letzten Interview mit Livia verriet diese uns die Bedeutung ihres Vor- und Zunamens. Könntest du uns etwas über deinen Vor- und Zunamen verraten?

Ich habe keine Ahnung, was meine Namen bedeuten. Meine Eltern wollten mir einen möglichst internationalen Vornamen geben.

Morzenti ist wohl ein Name, der seinen Ursprung in der Lombardei hat. Omar scheint ja eher arabischen oder hebräischen Ursprungs zu sein. Ich habe gelesen, dass Omar arabisch für ‘Der lange lebt‘ steht, im Hebräischen steht er für ‚der Redegewandte‘. Deine Eltern scheinen eine sehr gute Wahl getroffen zu haben, Omar.

Aus seinem Fenster blickt Omar auf einen Parkplatz – vor allem aber auf die Berge.

ITALIENISCHE TISCHSITTEN UND DEUTSCHE ESS-SÜNDEN…

Du kommst aus Italien, einem Land, das bei vielen Deutschen Sehnsüchte weckt. Johann Wolfgang von Goethe pries nach seiner italienischen Reise in seinem Roman >Wilhelm Meisters Lehrjahre< Italien mit den Worten des mysteriösen Mädchens Mignon wie folgt:

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n?
Im dunklen Laub die goldnen Orangen glüh’n?
 Weit in den Ästen, der Lorbeer blüht,
 Und der Myrtenstrauch die Flieder grünt?“

Italien also als Ort der Schönheit, Inspiration, spirituellen Erneuerung. Vielleicht eines der Bilder, die manche Deutsche in Kopf und Herzen tragen, wenn sie an Italien denken. Und womöglich niemals da waren. Kannst du uns nun aus italienischer, nämlich deiner Sicht, ein wenig über deine Heimat erzählen?

Also, Italien hat das beste Essen der Welt. Pasta, Pizza, Lasagne, Mozzarella, Eis. Das wird weltweit gegessen.

Und was ist deine Lieblingsspeise? Lasagne?

Mein Lieblingsessen ist Sushi (Lachen).

Pizza ist hier ja besonders beliebt. Ich habe einmal gelesen, dass das eigentlich ein Arme-Leute-Essen ist, das zusammengerollt aus der Hand gegessen wurde. Eine Art Snack. Hier isst man es ja meist mit Messer und Gabel. Und in Italien? Merkt man da noch den Ursprung?

Wir essen Pizza auch mit Messer und Gabel. Aber wir rollen in der Tat die abgeschnittenen Stücke.

Du kommst ja aus Bozen. Das ist in Norditalien, in der autonomen Provinz Südtirol, die lange deutschsprachig geprägt ist. Merkt man das heute? Inwiefern hat dich das selbst geprägt oder beeinflusst?

In meiner Gegend gibt es 60% Deutschsprachige, meist in den Tälern. Zu 40% gibt es Italiener, meist in der Stadt. Es gibt deutschsprachige Schulen und italienische Schulen. Meine Mama wollte, dass ich eine deutsche Grundschule für 5 Jahre besuche, dann eine deutsche Mittelschule für drei Jahre. Inzwischen besuche ich eine italienische Oberschule.

Früher gab es Spannungen zwischen den deutschsprachigen und italienischsprachigen Bevölkerungsteilen. Spürt man davon heute noch etwas?

Ja, es gibt noch Spannungen, obwohl es besser geworden ist. Aber: Alle sind noch getrennt. Italiener und Deutschsprachige mischen sich nicht. Es gibt italienische Restaurants und es gibt ‚deutsche‘ Restaurants. Sie haben ganz andere Lebensweisen. Auch bei den Jugendlichen gibt es keine Mischung.

Außer in deinem Fall. Du hast ja deutsche Schulen besucht. Sag‘ doch einmal: Was siehst du, wenn du aus dem Fenster deines Zimmers in eurer Wohnung in Bozen blickst?

Auf die Berge. Eigentlich auf einen Parkplatz vor dem Haus (lacht). Aber dahinter sind die Berge.

Beschreib doch einmal einen typischen Wochentag für dich in Italien.

Also, das ist etwas untypisch. Ich bin doch etwas strebsam (lacht). Ich stehe um 6:30 Uhr auf, fahre nach dem Frühstück mit dem Bus zur Schule. Aber nur 10 Minuten, nicht 30 Minuten wie hier. In Italien ist Schule nicht so entspannt wie hier. Wir haben täglich 7 Stunden, jede 50 Minuten. Es gibt nur zwei Pausen von 15 Minuten. Die Schule geht von 7:45 Uhr bis 14:10 Uhr. Es ist sehr stressig, hier an der ASS ist es auch entspannter zwischen den Schülern und Lehrern. In Italien ist da eine große Hierarchie, Lehrer heißen ‚professore‘, nicht Lehrer, also ‘maestro‘. Nur an der Grundschule. An den weiterführenden Schulen sagt man das nicht, sonst ist ‚professore‘ ärgerlich.

Was hat dich denn nach Deutschland geführt?

Um ehrlich zu sein: ich wollte eigentlich ins englischsprachige Ausland.  Warum nach Deutschland? Es kostete nichts. Englischsprachige Länder waren so teuer, zu teuer. Nach Deutschland bin ich dann mit der Austauschorganisation ‚Lise‘ gekommen. Die verlangten gute Noten. Und die hatte ich. Deal!

„IN DEUTSCHLAND, SO SCHEINT ES, MUSS MAN DEN ERSTEN SCHRITT MACHEN”

Die Flagge Italiens, die Trikolore. Seit 1946 offizielle Flagge Italiens. Die Farben haben haben eigene Bedeutungen:
Grün: Die Landschaften Italiens und die Hoffnung (speranza);
Weiß: Die schneebedeckten Alpen und Reinheit und Glaube (fede);
Rot: Das Blut, das für die italienische Einheit und Unabhängigkeit vergossen wurde, sowie Nächstenliebe (caritá).

Mit welchen Vorstellungen bist du hier nach Deutschland gekommen? Und: Hat sich diese Sichtweise nach bereits drei Monaten, die du hier bist, verändert?

Ja, mein Eindruck hat sich geändert. sehr. Meine Vorstellung vorher waren Clichés. Deutsche seien nicht so nett. Ernst. Verschlossen. Vielleicht etwas besserwisserisch. Das Wetter: kalt.  Und das Essen. Schlimm. Immer Bratwurst, Schnitzel, Kartoffeln. Und die Esssünden: Ananas auf der Pizza. Oder Ketchup auf Pasta. Nun aber denke ich anders. Ich habe hier super nette Leute kennengelernt, liebenswert, cool. Und meine Klasse, die 11d, ist eine super Klasse. In Italien etwa werden Personen oft oberflächlich bewertet, eingeordnet. Hier hingegen akzeptiert man dich so, wie du bist. Jedenfalls in der 11d.

Das Taxieren, Einordnen, bewerten von Personen – stimmt es, dass deshalb in Italien auch mehr, so will es scheinen, auf gute Kleidung, ein schickes Äußeres geachtet wird?

(Lacht) Ja, stimmt. Nicht bei mir. Ich trage oft Jeans, Pulli. Aber man bereitet sich besser vor. Es ist vielleicht ein Cliché, aber: Vielleicht auch nicht. Man sagt, bevor man hinausgeht, um den Müll in den Mülleimer zu schütten, macht man sich erst einmal schick.

Nun zu den Deutschen. Welche Deutschen sind den Italienern eigentlich ein Begriff?

Hm, schwierig. Goethe auf jeden Fall. Und Walter von der Vogelweide (Dichter/Minnesänger aus dem Mittelalter, Anm. d. Redaktion). Ich weiß auch nicht, warum. Vielleicht kommt er aus meiner Gegend? (der Geburtsort ist unbekannt, vielleicht Würzburg, Anm. d. Redaktion). Und Angela Merkel. Aber bei mir nicht so richtig. Politik ist nicht so mein Thema.

Was fällt dir denn auf, wenn du Italien mit Deutschland vergleichst? Also: Land, Leute, Lebensstil, Mentalität…

Was fällt mir auf? Italiener sind auf der Straße, wie sagt man, schwatzhaft. Dafür ist es in der Schule sehr streng. Deutsche sind verschlossener, gehen nicht auf einen zu. Zum Beispiel: Als Gastschüler in Italien, nach 10 Minuten sind fast alle schon zu dir gekommen. Wo kommst du her? Warum bist du hier? Und so. Man geht sofort auf den Gastschüler zu. Hier in Deutschland musste ich den ersten Schritt gehen, aber dann war es super.

Kulturelle Unterschiede halten bisweilen so manche Fettnäpfchen bereit. Bist du schon einmal in ein Fettnäpfchen getreten?

(Mit zuversichtlicher Stimme) Ich wohl nicht. Aber meine Mama. In Italien ist das immer so: Bei der Begrüßung, Küsschen links, Küsschen rechts. Als meine Mutter zu Besuch war, hat sie das bei meiner Gastmutter gemacht. War ok, aber nachher haben wir gelernt: Das macht man hier so nicht!

Fünf Stunden Deutsch, 9 Stunden Englisch

Du besuchst nun seit fast drei Monaten die Albert-Schweitzer-Schule. Welche Schule besuchst du in Italien?

Da gehe ich auf die Oberschule Liceo Scientifico Evangelista Torricelli.

Dein Deutsch ist bemerkenswert, du bist auch im Schulalltag sehr kommunikativ. Konntest du vor deinem Umzug nach Deutschland bereits deutsch?

Deutsch ist bei uns Pflichtfach. Wir haben vier Unterrichtsstunden Sprachunterricht und eine Stunde Geschichte auf Deutsch pro Woche. Englisch sogar neun Stunden – drei Stunden die Sprache, und dann noch Stunden in Biologie, Mathe, Wirtschaft, Recht.

Welches Notensystem gibt es denn in Italien?

Bei uns gibt es Noten von 0 bis 10. 10 ist die beste. Ab 6 hat man bestanden. Aber es ist viel schwerer, 6 zu erreichen als hier 5 Punkte beim Punktesystem von 1-15, also eine Note 4.

INGWER, HEUER UND DAS LEIBCHEN

Über das Deutsche sagt man immer, es sei eine schwierige Sprache. Kannst du das bestätigen?

Und hast du da vielleicht Lieblingswörter für dich entdeckt?

Ja. Ingwer – das ist lustig. Aber ich kenne auch Wörter, die haben meine Mitschüler in der 11d so nicht verstanden. Zum Beispiel ‘heuer’. Heuer habe ich in >Aschenputtel< mitgespielt, also dieses Jahr. Das ist ein sehr nützliches Wort.  Oder das Wort ‘Leibchen’ – die sagen immer ‘T-Shirt’.

Du bist ja jetzt deutschlanderfahren. Welche 3 Tipps hättest du für deutsche Schüler, die Gastschüler in Italien sein möchten, um dort anzukommen, sich zu integrieren, sich heimisch zu fühlen? Und welche Fehler sollten vermieden werden?

Also, Nummer 1: Lächeln! Nummer 2: Offen sein! Und Nummer 3: Sich auf das italienische Essen einlassen!

Alkohol und Zigaretten

Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen deutschen und italienischen Jugendlichen oder ähneln sich Jugendliche sehr?

Allerdings. In Deutschland trinkt man mehr. Also: Alkohol. In Italien raucht man mehr, zum Beispiel beim Discobesuch. Da rauchen viele.

DER MANTEL DES SCHWEIGENS

Bald geht es für dich wieder zurück in deine Heimat. Was strebst du dann an?

Mein Traumjob ist Lehrer. Biolehrer. Aber dafür gibt es wenig Geld.

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n?
Im dunklen Laub die goldnen Orangen glüh’n?
Weit in den Ästen, der Lorbeer blüht,
Und der Myrtenstrauch die Flieder grünt?“

Wir erinnern uns – es sind geistige Mitbringsel, die Johann Wolfgang von Goethe von seiner Italienischen Reise nach Deutschland mitbrachte. Was nimmt Omar Morzenti von seiner Deutschlandreise mit nach Italien?  Welche Andenken, welche Souvenirs, was im Herzen?

Als Mitbringsel? Schöne Fotos wären toll. Im Herzen? Ich habe tolle Freunde für das Leben gewonnen. Und extrem viele Erlebnisse.

Könntest du uns über Erlebnisse berichten?

Ah, das ist schwer. Viele verlangen Diskretion (lacht).

So, so, Omar, der Redegewandte, schweigt.

Das respektieren wir und nehmen das so hin. Ganz vielen Dank für das Interview.

Vh

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