Das Licht abends am Strand, mit Freunden beim Schein des Feuers, die untergehende Sonne. Ich finde, das ist Magie.

Blick über den Tellerrand – Porträts internationaler Gäste an der ASS

Von Holzflugzeugen, Ausbruchsaktionen, Autofahren mit 17 und Glücksmomenten – Interview mit Alejandro Peraza, Mexiko

Schüler aus vier sehr verschiedenen Ländern sind derzeit oder waren zu Gast in der Klasse 11: Omar Morzenti aus Italien, Livia Stromková aus der Slowakei, Alejandro Peraza aus Mexiko und Iga Tworek aus Polen. Alle vier stellen sich in einer Porträtserie hier auf der Homepage vor. Dabei schildern sie uns ihre Eindrücke als Gastschüler in Deutschland – ihre Eindrücke von Nienburg und dem Schulleben an der ASS, welche Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten sie am Leben in Deutschland im Vergleich zu ihrer jeweiligen Heimat bemerken, weshalb sie überhaupt hier sind und, am wichtigsten, wer sie selbst eigentlich sind.

Den Abschluss unserer Serie bildet das Interview mit unserem Gesprächspartner Alejandro Peraza. Alex, wie er kurz genannt wird, ist für dieses Schuljahr hier an der Albert-Schweitzer-Schule, genauer gesagt: In der 11d. Außerhalb der Schule ist er bei Gasteltern untergebracht. Am Sonntag, dem 29. Juni, kehrt er leider schon wieder nach Mexiko zurück – aber er nimmt sicher viele Eindrücke aus Deutschland mit und hinterlässt hier auch Spuren. Woran das liegt, was man über Mexiko lernen kann und wie Alex nicht nur im Kanu hier in Nienburg Kurs gehalten hat – all dies werden wir im

Interview erfahren.

Viel Spaß beim Lesen und Kennenlernen von – Alex Peraza.

STECKBRIEF ALEX

Hallo, könntest du dich kurz vorstellen?

Ja, klar. Ich heiße Alejandro Hernán Pérez Peraza. Ich bin 18 Jahre alt. Ich komme aus Süd-Mexiko, aus Mérida. Meine Heimatstadt ist einwohnermäßig so groß wie Hamburg (Also etwa 1,7 Millionen Einwohner, Anm. d. Redaktion), aber von der Fläche viel größer. Es gibt keine Hochhäuser wie in Hamburg, alle sind höchstens zwei Stockwerke hoch.

Erzähl uns bitte ein wenig über deine Familie! 

Also, mein Vater ist schon lustig (gemeint wohl: lebenslustig, Anm. d. Redaktion). Ich habe zwei Halbbrüder, die sind schon über 30. Und eine Babyhalbschwester, die ist erst 1. Meine große Schwester ist 23. Meine Eltern? Mein Vater ist Architekt, und meine Mutter ist Physiotherapeutin.

Was machst du in der Freizeit? Also: In Mexiko? Und dann natürlich hier?

Also, was ich in Mexiko mache und was hier, das ist total anders. In Mexiko treffe ich mich mit Freuden. Wir spielen zum Beispiel Billard. Oft gehen wir an den Strand, der ist bei mir gleich in der Nähe. Eine halbe Stunde. Da legen wir Brennholz in den Sand und machen ein Feuer. Wir braten Bratwürste oder halten Marshmellows über das Feuer. Ich liebe den Strand am Morgen oder am Abend. Tagsüber – das ist zu heiß.  (Nachdenklich) Das ist schön, das Licht dann abends oder morgens, mit Freunden beim Schein des Feuers, die untergehende Sonne. Ich finde, das ist Magie.

Hier ist es ganz anders. Ich lese. Ich habe schon sieben Bücher gelesen. Und ich habe eine ganze Bücherladung nach Mexiko versandt. Das ist billiger, als sie dort zu kaufen.

So weit ich weiß, bist du auch in der Ruderriege.

Ja, ich gehe zum Rudern. Ich mag das Rudern gar nicht. (lacht) Aber ich liebe den Sportsgeist. Das Team. Das ist wie eine Familie. Ich war schon zweimal im Ruderlager, für eine Woche. Den ganzen Tag wird gerudert. Und da wird geschrieen und gesungen. Toll! Und am Schluss als Verabschiedung ins Wasser gesprungen. Das ist manchmal, brrr, ganz schön kalt. Abends sind wir dann im Ruderlager. Machen Quatsch und so. (schmunzelt)

Hast du noch weitere Hobbys?

Ja, ich gehe turnen. Toll! Im November war ich beim Schauturnen. Meine Lieblingserfahrung. Schön! Vom Gefühl, das ist wie im Film. Verstehen Sie? Kennen Sie den Film mit Hugh Jackman, >The Greatest Showman<? Es ist ein bisschen wie da. Und die Botschaft des Films ist so etwas wie: ‚Follow your dreams.‘ Ich wollte schon als Kind turnen. Aber ich habe mich da verletzt und meine Eltern sagten mir: ‚Jetzt nicht mehr.‘

Aber hier war einmal ein Mädchen aus der Klasse auf mich zugekommen. Janna. Mit der hatte ich vorher noch gar nicht gesprochen. Beim Turnen macht die Bewegungen, das gibt es gar nicht. Das kann kein Mensch. Und dann fragte sie mich: Kannst du einen Handstand? Und ich: Ja, klar. Und dann sollte ich für einen Jungen vom MDG zum Schauturnen. Der war nämlich verletzt. Und dass sie mich gefragt hat, also, das war, wie sagt man, ein Glücksmoment, ein Glücksfall für mich. Und ja, deshalb turne ich in Deutschland.

Nomen est omen – was bedeuten denn deine Vornamen und dein Nachname?

Alejandro kommt ja wohl vom Altgriechischen Alexander und bedeutet ‚Der Beschützer der Menschheit‘. Weißt du, warum deine Eltern dich so genannt haben?

Also, Hernán – klar: Hernán Cortés. Der Eroberer. Alexander von Alexander, der Große. Das war auch ein Eroberer. Aber auch Beschützer der Menschheit. Pérez, so heißen ganz viele in Mexiko. Und Peraza ist aus Spanien.

Ja, aus Kastillien, Zeit der Reconquista.

Genau. Aber Hernán: Da wurde ich auch nach meinem Großvater benannt.

MEXIKO VS. DEUTSCHLAND, ODER: DIE HÜRDE VON ‚PÜNKTLICHKEIT UND PLANUNG‘

Mexiko ist weit weg und Deutsche wissen meist nicht viel über Mexiko. Kannst du uns etwas über deine Heimat erzählen?

In Mexiko ist es so, man lächelt, der andere lächelt zurück. Das macht man so. Die Leute sind sehr freundlich. In Deutschland lächelt man auch, aber nicht so sehr. Und: In Mexiko ist man nicht so pünktlich wie hier. Am Anfang war das für mich sehr schwierig. Alles ist hier so vorbereitet, organisiert, pünktlich. Meine Gasteltern waren mir da sehr gute Lehrer: Alex, das musst du jetzt machen, nicht irgendwann. Alex, mach das jetzt. Inzwischen habe ich gelernt und bin pünktlich. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Hm, aber manchmal bist du schon zu spät gekommen zum Unterricht. (Alex schmunzelt.)

Was siehst du, wenn du aus dem Fenster deines Zimmers in eurer Wohnung in Mexiko blickst?

Hm, andere Häuser. Eine Straße. Bäume? Meine Stadt hat nur sehr wenige Bäume. Wenig Schatten. Das kann sehr heiß werden.

Wie sieht ein typischer Wochentag für dich zu Hause aus?

Also, ich stehe auf.

Wann?

10 Minuten vor der Schule stehe ich auf. (lacht) Nein, also so um 6 oder halb sieben. Mein Vater bereitet das Frühstück für die ganze Familie vor. Das macht er immer. Und dann fahre ich zur Schule. Mit dem Rad oder dem Auto. Aber selbst.

Selbst? Hm, ab wann darf man das in Mexiko? Bist du nicht erst 18 geworden?

Oh, ab 18. Eigentlich. (lacht verlegen). Ah, nein, das bitte nicht schreiben. Das könnte jemand in Mexiko lesen.

Vermutlich.

DIE DEUTSCHEN SIND NICHT SEHR GLÜCKLICH

Mit welchen Vorstellungen bist du nach Deutschland gekommen? Und: hat sich deine Sichtweise geändert nach dem Jahr hier?

In Mexiko denken viel: Deutschland, ah, da waren die Nazis. Ich natürlich nicht. Und viele haben die Idee von Technologie und Organisation. Ich wollte eine extrem andere Kultur kennenlernen. Auch, das ich Sachen selbst mache. Verstehen Sie? Mein Vater macht viel. Ich wollte – wie sagt man?

Selbständiger werden?

Ja, genau. Ah, und in Mexiko denkt man: Es gibt eine Glücksskala. Und die Deutschen sind immer sehr weit unten. Die Deutschen sind also nicht sehr glücklich.

Vielleicht ist das ein Problem des Westens? Ich kannte mal eine Rumänin, die hatte einen amerikanischen Ehemann. Und die sagte:,In Amerika – alles ist weit entwickelt. Wohlstand. Karriere. In Rumänien ist das nicht so. Aber die Rumänen, die wissen zu leben.‘

Ja, vielleicht ist es das. Stimmt.

Und, was sind Deine Eindrücke hier?

Boah, schwierig. Also, meine Stadt, die ist groß, fast 2 Millionen Einwohner. Nienburg, das ist ein Dorf. Im Vergleich. Und meine Straße in Mexiko: Sehr, sehr lang. Und so ruhig. Und hier: Es ist so laut!

Aber hier, es sind nur 30.000 Einwohner, und man trifft immer wieder die gleichen Gruppen. Ich mag das, das ist so… (sucht nach Worten)

Man fühlt eine Dazugehörigkeit, Vertrautheit?

Ja, genau. Das ist es.

Welche Schule besuchst du in Mexiko? Erzähl mal etwas über deine Schule.

Ich bin auf die Piaget-Schule gegangen. Aber wenn ich zurück bin, gehe ich nicht mehr zur Schule. Ich bin fertig.

VON KRAFTAUSDRÜCKEN UND RESPEKT

Aber du hast Unterrichtserfahrung an der ASS gesammelt. Was hast du beobachtet?

Ja, das hängt natürlich von den Leuten ab, den Lehrern. Aber hier sagt man auch Kraftausdrücke, auch im Gespräch mit Lehrern. ,Scheiße‘ oder so so. Das ist schon lustig. In Mexiko sagt man keine starken Worte.

Und in Mexiko gibt es keine Tablets. Einige haben Tablets, aber die dürfen sie nicht in der Schule nutzen.

Welches Notensystem gibt es denn in Mexiko?

Noten von 1 bis 10. 10 ist die beste. Und man muss mindestens 7 haben, sonst ist man durchgefallen.

Und welchen Eindruck hast du von Lehrern und Schülern im Vergleich zur Mexiko?

In Deutschland ist man respektvoll zu den Lehrern und die sind auch sehr freundlich. Es gibt eine etwas größere Nähe. Die Lehrer hier sind in der Regel lockerer. (grinsend) Aber ich habe die Schule hier nicht immer ernst genommen.

Was möchtest du eigentlich später einmal werden?

Das ist eine gute Frage. Wirklich. Eine sehr gute Frage. Ah, ein Director of Entertainment Enterprises. Wie sagt man, das ist so etwas wie Veranstaltungsmanager. Man organisiert Veranstaltungen, und das Interagieren ist wichtig. Das ist noch schwierig für mich, sprachlich, also Englisch, Deutsch. Aber ich lerne und möchte auch fremde Sprachen lernen. Denn so bekommt man Freunde.

Mein Traumberuf ist Filmregisseur. Oder Drehbuchautor. Ich schreibe gerne.

Über das Deutsche sagt man immer, es sei eine schwierige Sprache. Kannst du das bestätigen?

Und hast du da vielleicht Lieblingswörter für dich entdeckt?

Ich lerne seit 2023 Deutsch, seit September. In der Abendschule habe ich das gemacht, sechs Stunden pro Woche. Lieblingswörter? Abenteuer. Das ist lustig. Man kann sagen: Es war ein Abenteuer, denn der Abend war teuer.

FETTNÄPFCHEN UND AUSGEHVERBOTE

Die mexikanische Flagge ist besonders symbolreich: Das Grün steht für Hoffnung auf Unabhängigkeit von Spanien, heute für Hoffnung und Widerstand. Das Weiß symbolisiert die Reinheit des katholischen Glaubens oder auch allgemein Einheit und Harmonie. Das Rot stand einmal für das Blut der Nationalhelden, die für die Unabhängigkeit gestorben sind. Heutzutage ist es das Band, das Mexiko mit seinen indigenen und europäischen Wurzeln verbindet, steht also für die Einheit des Volkes. Und das Wappen zeigt einen Adler, Ausdruck von Sonne, Mut, Kraft, der auf einem Kaktus, der Nationalpflanze Mexikos, also dessen ‚Wurzeln‘, sitzt und eine Schlange, den Feind, im Schnabel und in einer Kralle hält. Dies verweist auf eine alte aztekischen Legende: Die Azteken, also die Mexica, suchten laut Prophezeiung den Ort für ihre neue Stadt, und zwar dort, wo sie einen Adler sehen würden, der auf einem Kaktus sitzt und eine Schlange frisst. Dieses Zeichen fanden sie auf einer Insel im Texcoco-See – dort gründeten sie Tenochtitlán, das heutige Mexiko-Stadt.

Du sagtest ja, du wolltest mit Deutschland eine extrem andere Kultur kennenlernen. Da tritt man auch einmal in Fettnäpfchen. Ist dir das auch unterlaufen?

Ja, klar. Über Rot bin ich auch schon gegangen. Aber: Rotgänger ist nicht gleich Totgänger (lacht).

Und Umarmungen. Meine Gasteltern sind mir die besten Lehrer in deutscher Kultur, die denkbar sind. Trotzdem: Ich wollte auch schon zum Abschied Leute umarmen, und da merkte ich: Das finden die komisch. Die wollten das nicht.

Gibt es eigentlich große Unterschiede zwischen mexikanischen und deutschen Jugendlichen? Oder sind Ähnlichkeiten feststellbar?

Also, bei mir persönlich. In Mexiko unternehme ich viel mehr zusammen mit Jungen, kaum mit Mädchen. Hier kennen Jungen oft nur Fußball. Mädchen machen viel mehr Sachen hier. Spielen Instrumente, tanzen, turnen. Ich unternehme viel mehr mit Mädels als mit Jungen hier. Über das Turnen sagen die bloß: Das ist doch irgendwie schwul.

Ein Unterschied: Hier gehen Jugendliche zu Partys, die auch länger abends dauern. Das erlauben Eltern in Mexiko nicht. In Deutschland: Ja. In Mexiko habe ich dann abends mal Kissen ins Bett gelegt und eine Decke darübergelegt. Damit es so aussieht, als schlafe ich. Und dann bin ich raus.

Du hast dich heimlich davongestohlen?

Oh, ja, vielleicht schreiben wir das auch nicht. (lacht)

So, so. Ts-ts-ts.

Nun gut. Oft drückt sich der Charakter eines Landes auch in der Musik aus. Was ist gerade ‚in‘ in Mexiko? Was hörst du gerne und warum? Gibt es deutsche Lieder, die du gut findest?

Boah. In Mexiko, da habe ich Lieder auf Spanisch gehört. Mexikanische Lieder. Aber eher Quatschmusik. Hier: >99 Luftballons< von Nena. (feixt) Michael Jackson. Elvis Presley. >Black Eyed Peas<, >Bee Gees<, >Earth, Wind, and Fire<.

Was waren bisher denn deine ‚Highlights‘ hier in Deutschland?

Mit der Klasse nach Italien. Das Ruderlager. Schauturnen. Mit meinem Gastvater nach Spanien. Der April war mein Highlight. Da waren so viele Aktionen. Ein Highlight, boah, Sevilla, Plaza de España. Da wurde eine Szene aus >Star Wars< gedreht!

BUDDELSCHIFFE UND HOLZFLUGZEUGE

Wenn du zurück nach Mexiko gehst: Was nimmst du mit aus deinem Jahr in Deutschland?

Ich habe gelernt, wie man denkt. Weiterzudenken. Zu organisieren. Und ich hatte die Zeit, über mich nachzudenken. Ich habe gelesen, und ich schreibe gerne.

Nimmst du auch Souvenirs mit als Andenken an Deutschland?

Ja. Magnete für den Kühlschrank. Und für meine Mama Schmuck aus Italien.

Aus Italien?

(Lacht) Ja. Und für meine Babyschwester ein Kuscheltier, einen Panda.

Der Panda, das urdeutsche Symboltier.

(Schmunzelt) Und ganz viele Bücher.

Deutschsprachige?

Eines davon. Die anderen sind auf Englisch. Und ich habe so ein Boot in Hamburg gekauft.

Ein Buddelschiff? In einer Flasche?

Ja! Genau! Und eine Tasse aus Deutschland für meine große Schwester. Und für meinen Papa habe ich in Bremen ein Papierflugzeug gekauft. (Nachdenklicher) Das ist fast wie ein Holzflugzeug. Es sind Kindheitserinnerungen. Mit meinem Papa habe ich früher zusammen kleine Holzflugzeuge gebaut. Das ist so, wie sagt man, Nostalgie.

Alejandro, Sonntag fliegst du wieder zurück nach Mexiko. Das Flugzeug ist nicht aus Holz, nicht aus Papier. Aber ich wünsche Dir, dass Du darin ganz viele Erinnerungen und Eindrücke aus Deutschland mit in Deine Heimat nimmst. Alles Gute und vielen Dank für das Interview!

Vh

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