ASSler lernen Tochter der zur NS-Zeit letzten jüdischen Schülerin unserer Schule kennen

Connie Philipp, Tochter von Lucie Rose und beim 500-jährigen Schuljubiläum Festrednerin, stellt Lucie Roses Lebensgeschichte im Giebelsaal vor/ Elft- und Zwölftklässler nutzen Gelegenheit für zahlreiche Fragen

Einen Tag vor dem Festakt zum 500-jährigen Schuljubiläum der Albert-Schweitzer-Schule kamen die Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 11 und 12 in einen besonderen Genuss: Frau Connie Philipp, die Tochter von Lucie Rose, hat mit ihren beiden Kindern und weiteren Verwandten den weiten Weg aus den USA auf sich genommen, um erstmals die Schule zu besuchen, an der ihre Mutter 1934 ihr Abitur abgelegt hat.

Lucie Rose war eines der wenigen Mädchen und die einzige jüdische Abiturientin der Albert-Schweitzer-Schule vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Gebannt hörten alle zu, als Frau Philipp zunächst die Biografie ihrer Mutter vorstellte. Lucie Rose wurde 1914 in Höxter geboren. Dort ging sie auch die ersten Jahre zur Schule, bevor die Familie nach Nienburg umzog und Lucie zunächst an der ehemaligen Hindenburg-Schule (heute MDG) angemeldet wurde. Ihr großes Interesse an Englisch und Französisch machte jedoch den Wechsel an die heutige ASS nötig, um diese Sprachen lernen zu können. Für diese zwei Jahre war Lucie eines der wenigen Mädchen an der Jungenschule und zudem jüdischen Glaubens.

Schon vor und kurz nach der Machtergreifung 1933 durch die Nationalsozialisten bekam Lucie erste Formen von Antisemitismus durch ihre Mitschüler zu spüren. So berichtete ihre Tochter, dass die Jungen im Jahrgang laut ihrer Mutter diese zwar hübsch und attraktiv gefunden hätten, aber sie wegen ihres Glaubens nicht weiter beachtet hätten. Auch Lucies beste Schulfreundin Greta habe irgendwann gesagt: „Lucie, wir können uns nicht mehr am Tag treffen, sondern nur noch in der Nacht! Meine Eltern wollen das nicht mehr!“ Lucies Antwort lautete knapp: „Wenn wir uns nicht am Tag treffen können, müssen wir uns gar nicht mehr treffen!“

Zwei Jahre nach dem Abitur beschloss die Familie Rose, das jüngste Kind in Sicherheit zu bringen. Dank eines wohlhabenden Onkels, der das Visum organisierte und für die Reisekosten aufkam, konnte Lucie mit 21 Jahren 1936 nach New York in die USA emigrieren. Ihre Familie, ihre beiden älteren Brüder und weitere Familienangehörige musste sie schweren Herzens zurücklassen, und nicht alle sollte sie nach langen Jahren der Ungewissheit lebend wiedersehen.

Im Anschluss an den Vortrag bot sich die Gelegenheit, Fragen an Frau Philipp zu stellen. Davon machten die Schülerinnen und Schüler sogar auf Englisch regen Gebrauch und erfuhren so weitere bewegende Details aus dem Leben von Lucie Rose. Ob es schwierig für ihre Mutter gewesen sei, aus Deutschland im Jahre 1936 herauszukommen? Ihr Onkel in New York habe ihr zu einem Visum verholfen, das sie selbst in Berlin abholen musste. Und dann sei sie nach England gereist und von dort per Schiff in die USA. Sie sei alleine gereist und es habe vieles einfacher gemacht, dass ihr Englisch gut gewesen sei. Ihre Brüder seien nicht mitgekommen, da sie glaubten, die Situation bewältigen zu können. Sie selbst habe auch keine gewaltsame Begegnung mit Nazis gehabt, im Gegensatz zu einem ihrer Brüder, dem in den Rücken getreten worden sei, wodurch er bleibende Rückenprobleme erlitten habe.

Ob Connie Philipps, die Tochter, ihrerseits Antisemitismus in den USA erlebt habe? Nein. In den USA habe sie in den 1960ern zusammen mit Christen und Juden eine High School besucht. Ob es für Connie Philipps schwer gewesen sei, vom Schicksal ihrer Verwandten in Deutschland zu hören? Ja, insbesondere diejenigen Verwandten, die in Konzentrationslagern umgebracht wurden, wie etwa die ein Jahr ältere Cousine ihrer Mutter, Hella, die zusammen mit ihrem Sohn umkam.

Wann ihre Mutter wieder nach Deutschland gekommen sei? In den 1970er, auf Einladung ihrer Schulfreundin Greta Mandel, die sie um Verzeihung gebeten habe, damals nicht richtig zu ihr gestanden zu haben. Wie es für sie gewesen sei, Deutschland zu besuchen? Ein bewegendes Erlebnis, heilend, sie habe die Bemühungen der Aufarbeitung in Deutschland bemerkt.

Ob Connie Philipps deutsche Traditionen pflege oder gepflegt habe? Sie habe immer einen Weihnachtsbaum haben wollen, was ihre Mutter Lucie Rose nicht gemocht habe. Dafür habe diese Mürbeteig sehr gemocht, aber keine Knödel. Lucie Rose habe ihren Töchtern die deutsche Sprache nicht beigebracht. Andererseits habe sie deutsche Komponisten geliebt, generell klassische Musik, und diese Leidenschaft teile Connie Philipp. In Amerika habe die Familie wieder zusammengefunden, in Kalifornien, wo Lucie in Pacific Palisades in L.A. wohnte.

Nach den Dankesworten von Herrn Dr. Wegener verabschiedete das Publikum den Ehrengast Frau Philipp und ihre Familie mit langanhaltendem und herzlichem Applaus.            

Andrea Schulte in den Bäumen, Clara Lieders, Vh

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