Ich würde mich noch einmal umdrehen und eine Träne vergießen. Und mich freuen auf das, was jetzt kommt!
Vorstellungsgespräch für verantwortungsvollen Ruhestandsposten
Bewerberin: Frau Kornelia Brauer
Ein Interview mit Schulsekretärin Kornelia Brauer aus Anlass ihres nahenden Abschieds
Hallo Konni Brauer. Es ist ein etwas ungewöhnliches ‚Vorstellungsgespräch, denn der Anlass ist dein nahender Abschied. Du hast dir fest vorgenommen, uns zu verlassen. Genau genommen: Du gehst in Rente. Grund genug, dich noch einmal mit Fragen und Anliegen zu belästigen, Belästigungen, die du ja sicher aus deiner Zeit hier an der Albert-Schweitzer-Schule bereits gewohnt bist – und hoffentlich deine Motivation für den Ruhestand nicht erhöht haben. Vor 22 Jahren hatte ich selbst einmal mein Vorstellungsgespräch hier an der Schule. Und ständig schüttelte der damalige stellvertretende Schulleiter den Kopf, wenn ich eine Frage beantwortete. Eine harmlose Marotte. Das wusste ich damals aber nicht. Alle tranken Kaffee, ich selbst bekam keinen angeboten. Mal sehen, ob wir alle bei deinen Antworten ebenfalls den Kopf schütteln. Wie ist übrigens dein Kaffee?
Lacht.
Konni Brauer – über Persönliches und fliegende Schlüsselbunde
Könntest Du Dich einmal vorstellen, mit vollem Namen und was noch so nötig ist?
Natürlich. Ich heiße Kornelia Brauer, bin 64, fast 65 Jahre alt, geschieden, zwei Söhne. Außerdem habe ich noch einen Bruder. Ich wohne in den eigenen vier Wänden hier in Nienburg, zusammen mit meiner Mutter. Gebürtig stamme ich eigentlich aus Schessinghausen, aber gewohnt habe ich ich eigentlich immer in Nienburg.
An unserer Schule bist du seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten Sekretärin. Aber wie war Konni Brauer denn als Schülerin? Hattest du Lieblingsfächer? Oder gar Hassfächer?
Ich mochte immer die Sprachen. Und Werken, Textiles Gestalten. Das hatte ich wohl von meiner Oma, die war eine richtige Strickliesel.
Naturwissenschaften mochte ich überhaupt nicht. Dafür fehlt mir die Logik.
Welche Erinnerungen hast du an die Schulzeit? Gab es Lehrer, die dich geprägt haben, besondere Erfahrungen, der du dich erinnerst?
Ja, Mathe. Der Lehrer verzweifelte an mir. Lerne etwas Handwerkliches, das riet er mir. Und der war streng. Er hatte eine Abneigung gegen Mädchen, die Mathe nicht konnten.
An Mathe habe ich dann auch sehr ungute Erinnerungen. Und ich war damals recht schüchtern. Hatte große Angst vor bestimmten Lehrern. Die warfen auch mal mit dem Schlüsselbund, wenn sie etwas störte. Und die trafen! Aber das machten sie nur mit den Jungen, die trauten sich nämlich, auch mal etwas zu entgegnen.
Werdegang – Insidertipps, Landmaschinen und die Spezies Gymnasiallehrer
Wie lange bist du jetzt schon an der Albert-Schweitzer-Schule gewesen?
Du, seit 2008. Damals kam ich für Frau Hische, die in den Ruhestand ging. Zu dem Beruf bin ich gekommen, indem ich eine Ausbildung als Bürokauffrau abschloss und Verwaltungsangestellte wurde.
Ich wollte unbedingt an eine Schule als Schulsekretärin. Mein Traumberuf! Seufzend: Aber stattdessen landete ich erst einmal ganz woanders, nämlich in einem Landmaschinenhandel. Nix mit Textiles Gestalten oder Werken. Dann bin ich zu Norma gegangen, einem Bekleidungshaus. Gibt es schon nicht mehr.
Dich zum Glück aber schon! Wie ging es dann weiter?
Ja, dann, 1990, bekam ich einen Tipp von einer Freundin. Es gab eine Stellenausschreibung für die Stelle als Schulsekretärin. Und so kam ich zur Orientierungsstufe in Erichshagen, also für Schüler der 5. und 6. Klasse. Das waren noch andere Zeiten. da gab es keine Computer, sondern Karteikarten, und alles musste abgetippt werden. Kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Aber ich hatte da nicht genug Stunden, wollte mehr Stunden haben in meiner Arbeitswoche. Und ich bekam einen Tipp, weil eine Schulsekretärin in den Ruhestand ging, und wechselte zur Realschule/Grundschule Langendamm. Da war ich dann 10, 11 Jahre. Schmunzelnd: Und dann bekam ich wieder einen Tipp, weil wieder eine Schulsekretärin in den Ruhestand ging – und so kam ich zur ASS.
Welche Erwartungen hattest du?
Also, erst einmal hatte ich Befürchtungen. Ich dachte: Gymnasium, da sind die Lehrer bestimmt alle sehr distanziert, arrogant, sehr formell. Ich glaube, meine Erwartungen waren von dem Film >Die Feuerzangenbowle< geprägt. Aber dann kam ich in das Lehrerzimmer und merkte: Die sind ja alle nett, bodenständig. Die haben auch Kinder, sind Mensch. Und ich wurde total nett willkommen geheißen.
Schulsekretärin – oder: Die eierlegende Wollmilchsau
Ich glaube, die meisten haben gar keine Vorstellung davon, was du eigentlich machen musst als Sekretärin, was man für den Job mitbringen muss.
Ja, das sag‘ ich dir. Eigentlich ist das, Ansprechpartner für alle zu sein. Und natürlich Krankmeldungen entgegennehmen, Informationen für Lehrer und Schüler bereitstellen, Schülerakten verwalten, Anrufe am Telefon abwickeln. Man braucht zudem eine Menge Organisationstalent, ich muss mich um die Belange der Lehrer kümmern, helfen, Arbeit abnehmen, Verwaltungsarbeit leisten und – ach, natürlich, das ist das eigentlich Wichtigste, hatte ich fast vergessen (lacht), – den Haushalt für Stadt und Land verwalten. Ich bin, das kann man so sagen, Mädchen für alles.
In der Tat. Das sind eine Menge Aufgaben. Welche Eigenschaften und Einstellungen sind besonders wichtig?
Ja, außerdem braucht man Gelassenheit und Geduld. Die habe ich – aber nur zum Teil (knurrend, guckt grimmiger und bedeutungsvoll in eine aus meiner Sicht unbestimmte Richtung). Aber auch, Kummerkasten für Eltern sein, die Sorge um ihre Kinder haben. Als ich damals Sekretärin für den damaligen Schulleiter Habener an der Realschule und Grundschule in Langendamm war, hat dieser – der war Schülern sehr zugewandt – mir einen prägenden Satz mitgegeben: „Die Schule ist für die Schüler da.“ Und das möchte ich auch sein, wenn Schüler da sind, bin ich für die Schüler da! Im Gegenzug erwarte ich aber auch Höflichkeit und Respekt. Wird mir aber auch immer entgegengebracht!
Einschneidende Momente und Beobachtungen zum Schmunzeln
Bei James Bond heißt sie Moneypenny und Bond wirft immer seinen Hut auf den Hutständer, bevor er zu M geht. Hier heißt Moneypenny Brauer. Hast du ebenfalls auffällige Marotten beobachtet, sei es bei den Lehrer-Bonds, die hier in dein Zimmer stürmen, oder bei M – Pardon: W1 und W2, den Schulleitern – höchstpersönlich?
Marotten, das ist ein schwieriges Thema. Das lassen wir mal bei den Lehrern. Aber tatsächlich gibt es große Unterschiede zwischen meinen Schulleitern. Keine negativen Marotten, aber doch Unterschiede. Hr. Dr. Weghöft (Schulleiter bis 2021) legte sehr großen Wert auf Ordnung. Da musste alles an seinem Platz sein. Auch auf seinem Schreibtisch. Und wehe, wenn da was verrückt war, dann fragte er: „Frau Brauer, wer war da an meinem Schreibtisch?“ Das ging bis zu Fingerabdrücken auf der Schreibplatte. Da bat er, dass ich diese wegwische.
Außerdem war sehr typisch für ihn der Blick auf die Uhr. Nämlich immer dann, wenn ein Lehrer zu spät in den Unterricht ging!
Das stimmt. Auch bei Schülern. Wenn er mal vor dem Abitur Kurse besuchte und hinten drin saß und ein Schüler zu spät kam, dann raunte er mir einmal nach der Stunde zu: „Der war zu spät. Da müssen Sie noch schärfer reagieren!“
Ja. Aber zu Weihnachten, da gab es für die Verwaltung, also Sekretärinnen, Schulassistentinnen, Hausmeister usw. stets eine große Überraschungstüte. Da waren immer tolle Sachen drin, viel leckeres Süßes.
Und er ließ es sich nicht nehmen, sich von mir den Kaffee bringen zu lassen. Das ist bei Dr. Wegener anders. Der steht auf Tee. da gibt es eine komplette, große Teesammlung. Außerdem auffällig starker Pfeifengeruch. Und insbesondere zu Weihnachten zündet er gerne Räucherstäbchen und -figürchen an. Hast du doch bestimmt mal mitgekriegt, oder?!
Ah, da hat sich also Herrn Tofautes Raucherzimmer [Hr. Tofaute war Kunstlehrer und ging seiner Raucherleidenschaft gerne in einem Raum im Keller nach selbst zu Zeiten, als es härter wurde für Raucher] nach oben verlagert und in ein Räucherzimmer verwandelt. [Schmunzeln].
In all den Jahren hast du eine Menge miterlebt. Was waren einschneidende Momente?
Also, gleich mal am Anfang: Das Beste, was mir passieren konnte, war, dass ich hier sein durfte. Ich wurde mit offenen Armen aufgenommen und mir wurde eine unheimlich große Wertschätzung entgegengebracht. Und jedes Mal am Wochenanfang habe ich mich auf die Schule gefreut. Das ist so.
Einschneidend war allerdings auch der Tod von Bärbel Göhlich [ehem. Schulsekretärin am Triftwegsgebäude, verstorben 2017] und von Dr. Ralf Weghöft [verstorben 2023].
Sonderwünsche: Fragen aus dem Publikum
Du sagtest ja vorhin, du seist das Mädchen für alles und kümmertest dich auch um die Belange der Lehrer. Die haben oft merkwürdige Sonderwünsche. Jetzt musst du erst einmal weitere aushalten. Wir haben hier nämlich einige Fragen aus dem Kollegium.
Eine Lehrerin möchte wissen: Welche deiner Fähigkeiten hast du im Schulalltag nicht brauchen können?
Ganz klar: Ich durfte nicht stricken, das Fach Textiles Gestalten konnte ich nicht nutzen.
Weitere Frage: Was würden deine Söhne an dir ändern wollen?
Fühl’ dich doch nicht für alles persönlich verantwortlich. Denk‘ doch mal an dich!
Wenn du beruflich noch einmal von vorne anfangen könntest, was wäre dann dein Wunschberuf?
Ich würde wieder Schulsekretärin werden wollen. Das ist meine Berufung!
Sehr schön! Die nächste Frage wird dir gefallen. Wenn du für einen Tag mit dem Schulleiter die Rollen tauschen könntest, was wäre das Erste, was du ändern würdest?
Schmunzelnd, dann ernster guckend: Es gibt einige wenige Schüler, die mobben oder sich sonst wie falsch anderen gegenüber verhalten. Die würde ich gerne einmal zur Seite nehmen und fragen: Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr so behandelt würdet? Behandelt andere doch so, wie ihr selbst gerne behandelt werden möchtet!
So, so! Hier kommt eine weitere, sehr spannende Frage: Welche Ansage hättest du gerne einmal über die Schullautsprecheranlage gemacht?
Ja, in der Tat. An einem heißen Sommertag bei 30 Grad um 10:30 Uhr – “Geht ins Freibad, ich gebe euch frei!‘
Traumhaft. Hier eine weitere Frage. Von einem oft vorwitzigen Lehrer, der gerne behauptet, schon einmal bei Key West in Florida von einem Kugelblitz getroffen worden zu sein, im Pfahlsitzen Rekordhalter zu sein und in Florida Autos verschoben, äh, verkauft zu haben: Warum hast du uns nie etwas über die Ereignisse erzählt, die sich am späten Nachmittag des 20.03.2008 im hinteren Treppenhaus vor dem Giebelsaal abgespielt haben? Hattest du von oben einen Maulkorb bekommen? Jetzt kannst du doch alles rauslassen, ohne Konsequenzen zu fürchten.
Also, das ist totaler Quatsch. Da war ich noch gar nicht an der Schule. [Erst ab Sommer 2008, Anm. d. Redaktion]
Oh, schade. Das wäre sicher eine spannende Antwort geworden. Die Frage muss leider ein Rätsel bleiben. Und nun eine weitere Frage: Was bringt dich ganz schnell auf die Palme?
Lacht, wird dann etwas grimmig, schaut bedeutungsvoll, bremst sich wieder. Ne, das sag‘ ich nicht. Aber auch ganz klar: Ungerechtigkeit und Respektlosigkeit.
In Ordnung. Wie können Schüler und Lehrer ganz schnell dein Herz gewinnen?
Mit Freundlichkeit und einem Lächeln!
Wenn du Lehrer wärst, welchen Unterrichtsstoff würdest du gerne Schülern vermitteln, weil sie das total nötig hätten?
Den Umgang mit dem Besen! Wirklich, ganz im Ernst, ich glaube, viele Schüler müssten lernen, ganz alltägliche Dinge selbst zu erledigen, ganz praktisch. Wie das Fegen. Eigenverantwortung würde ich das nennen.
Abschied und Neubeginn
In Hermann Hesses Lebensstufen heißt es:
[…] Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.[…]
Sicher wird es bei dir kein Erschlaffen geben. Du gehst mit einem weinenden und lachenden Auge. Dennoch sei ein Rückblick noch einmal erlaubt. Wenn du jetzt in den wohlverdienten Ruhestand gehst: Was wirst du von all den Tätigkeiten am Ehesten vermissen?
Das Miteinander unter den Kollegen. Ich habe sie alle in mein Herz geschlossen. Aber auch das, was in großem Maße meinen Alltag prägte: Das Organisieren und Verwalten.
Worüber bist du besonders froh, dies nicht mehr machen zu müssen?
Ach, das frühe Aufstehen. Dass ich abends mir nicht mehr den Wecker zu stellen brauche. Und, ganz ehrlich, dieses ständige Digitalisieren. Es ist ein Zuviel an EDV, oder IT, wie man heute sagt. Die wirkliche Kommunikation nimmt dabei ab.
Was wirst du machen, wenn du das letzte Mal die Schule verlässt?
Ich werde mich noch einmal umdrehen und eine Träne vergießen – aber mich auch freuen auf das, was kommt.
Und was wäre das? Was möchtest du jetzt nach deiner Schulzeit machen?
Ich reise gerne, Kurzreisen, Rad fahren, Lesen. Ich freue mich auch auf Gartenarbeit, Blumen pflanzen und pflegen. Und Sport treiben. Walken mag ich sehr. Außerdem freue ich mich, endlich Zeit für mich zu haben. Mich um mich selbst zu kümmern. Also, endlich auf den Rat meiner Söhne zu hören.
Stell dir vor, der Verwaltungstrakt bekäme ein Banner. Welcher gute Ratschlag, welche Lebensweisheit gar, sollte da draufstehen für uns? Schenke uns einmal eine Weisheit!
Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
Du hast jetzt sicher gedacht, dieses „Vorstellungsgespräch“ mit dir würdige deine Zeit mit uns an der ASS und sei ein Blick zurück. Das ist aber nicht ganz richtig. Es war ein Vorstellungsgespräch für den Ruhestandsposten nach dem Schulleben. Ich übe das ja häufiger mit Schülern. Ich muss sagen, dass ich selten eine Kandidatin erlebt habe, die mit ihren Antworten sich dermaßen ungeeignet für das Wirkungsfeld Ruhestand erwiesen hat. Ich fürchte, wir können dir den Posten nicht geben. Oder, wie es so schön heißt, wenn Kandidaten durchgefallen sind: Sie hören von uns – und wir alle schütteln dabei den Kopf wie damals der stellvertretende Schulleiter.;-) Du wirst also wohl hier bei uns bleiben müssen, wenn man mich fragte.
Andererseits: Wer fragt mich schon. Wie dem auch sei: Du wirst von uns doch schon noch hören – und wir hoffen, du bleibst uns verbunden. Wir wünschen Dir alles Gute, Gesundheit, Zufriedenheit und Glück für deinen Ruhestand und danken dir für alles, was du hier für uns gemacht hast und dessen Aufzählung den Rahmen sprengen würde. Ein weiterer Wunsch: Manchmal möge es dich schon überfallen, dass du hier nicht mehr mitmischen darfst!
Vh