Von Pfandflaschen, dem Lächeln und anderen Unterschieden

Blick über den Tellerrand – Porträts internationaler Gäste an der ASS

Gesprächspartner: Iga Tworek,  Polen

Schüler aus vier sehr verschiedenen Ländern sind oder waren zu Gast in der Klasse 11d: Omar Morzenti aus Italien, Livia Stromková aus der Slowakei, Alejandro Peraza aus Mexiko und Iga Tworek aus Polen. Alle vier stellen sich in einer Porträtserie hier auf der Homepage vor. Dabei schildern sie uns ihre Eindrücke als Gastschüler in Deutschland – ihre Eindrücke von Nienburg und dem Schulleben an der ASS, welche Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten sie am Leben in Deutschland im Vergleich zu ihrer jeweiligen Heimat bemerken, weshalb sie überhaupt in Nienburg sind und, am wichtigsten, wer sie selbst eigentlich sind.

Unsere Gesprächspartnerin diesmal: Iga Tworek! Iga ist für dieses Schuljahr hier an der Albert-Schweitzer-Schule, genauer gesagt: In der 11d. Außerhalb der Schule ist sie bei Gasteltern untergebracht. Wie ihre Erfahrungen in der Schule, in Nienburg und Deutschland sind, woher sie kommt, Gemeinsames und Trennendes zwischen Polen und Deutschland – all dies werden wir in diesem Interview erfahren.

Viel Spaß beim Lesen und Kennenlernen von –  Iga Tworek!

AKROBATIK, SHERLOCK HOLMES UND SCHIESSSPORT

Hallo, könntest du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Iga Tworek. Ich bin fast 18 Jahre alt und komme aus Krakau, lebe aber in Warschau, wohin meine Familie gezogen ist. Zuvor bin ich in Krakau zur Schule gegangen, die letzten 1 1/2 Jahre habe ich, seit ich in Warschau wohnte, eine Onlineschule besucht. Nach dem Sommer gehe ich wieder zurück nach Krakau in ein dortiges Lyzeum.

Erzähl uns bitte ein wenig über deine Familie! 

Nun, ich habe keine Geschwister, aber insgesamt ist meine Familie sehr groß. Mein Vater hat viele Brüder und Schwestern, und daher habe ich auch viele Cousins und Cousinen, über 20, genau weiß ich es nicht.

Und was machst du in der Freizeit?

Ah, ich mache nicht extrem viel Sport. Ich turne, reite, gehe etwas schwimmen, schieße auch, war nämlich im Schützenverein, aber da mache ich eine Pause wegen der Examen, die ich in Polen ablegen muss. Und ich treffe mich gerne mit meinen Freunden. Ich habe viele Freunde in Krakau, dort ist es schön. Ich fahre oft von Warschau nach Krakau und verbringe da die Freizeit mit Freunden, wir gehen ins Café und so.

Hast du noch weitere Hobbys?

Ja, ich lese gerne. Sherlock Holmes. Auf polnisch. Aber auch auf englisch. Ich mag das Action-Genre.

Eines deiner Hobbys ist sportlicher Art. Erzähl doch mal!

Ich betreibe Sportakrobatik. Und da trainiere ich verschiedene Elemente.

Im letzten Interview mit Livia und Omar verrieten diese uns die Bedeutung ihrer Vor- und Zunamen. Könntest du uns etwas über deinen Vor- und Zunamen verraten? Ist das eine Kurzform von Jadwiga? Dann wäre das der deutsche Vorname HEDWIG, also Kämpferin/Kriegerin.

Oh, nein. Es ist keine Kurzform. Einfach Iga. Meine Mutter wurde von einem Tier inspiriert, Iguana (eine Eidechsenart, Anm. d. Red.). Aber der Nachname meiner Mutter ist Kowalska, -ska ist die weibliche Form. Es bedeutet Schmied (oder Schmidt, Anm. d. Red.). Der Nachname meines Vaters, den ich auch habe, ist Tworek.

Ah. Und Tworek stammt vom polnischen Wort “twór” oder “tworzyć”, was „erschaffen“, „bilden“ oder „gestalten“ bedeutet. Der Name bezeichnet, ich habe das nachgeschlagen, eine berufliche Tätigkeit für jemanden, der etwas erschafft oder herstellt. Also: „der Schöpfer“ oder „der Gestalter“.

POLEN: VON FESTEN, FLAGGE, KÖSTLICHKEITEN

Du kommst aus Polen, einem wichtigen und großen Nachbarland Deutschlands. Die ASS hatte einmal einen Polenaustausch. Da zeigte sich, dass viele Deutsche keine klare Vorstellung von Polen haben. Kannst du uns nun aus polnischer, nämlich deiner Sicht, ein wenig über deine Heimat erzählen?

Politisch ist das natürlich schwierig. Wegen der Vergangenheit. Auch heute gibt es noch immer Reibungen mit den Deutschen, es gibt eine gewisse Distanz.  Aber: Deutsch ist eine sehr wichtige Fremdsprache.

Was sollte man wissen? Nun, was Krakau angeht, sicher das Essen. Es gibt da eine Art Pretzel, eigentlich Obwarzanek, das ist ein rundes Gebäck, also so ringförmig, oft geflochten oder gedreht, aus süßer Hefe. 

Und die Polen feiern gerne Feste. Zum Beispiel das Gingerbreadfest (Lebkuchenfest, Anm. d. Red.) in Toruń. Weihnachtsmärkte sind natürlich ganz wichtig, und auch slawische Feste, z.B. Marzanna, das Frühlingsfest. Ganz wichtig ist auch Święto Wszystkich Święych, also Allerheiligen, oder ‚Fest der Heiligen‘. An dem Tag besuchen die Familien die Gräber ihrer Verstorbenen, stellen im Gedenken Kerzen auf die Gräber und schmücken sie mit Blumen, meist Chrysanthemen, und man betet für die Verstorbenen.

Was man noch so über Polen wissen kann? Ja, die Flagge, weiß und rot. Weiß steht für Reinheit, Unschuld, rot für Blut, Vaterlandsliebe.

Was siehst du, wenn du aus dem Fenster deines Zimmers in eurer Wohnung blickst?

Die Flagge Polens ist gekennzeichnet durch die Farben Weiß und Rot. Weiß steht dabei für Reinheit und Frieden. Rot wiederum symbolisiert Tapferkeit und das vergossene Blut für die Freiheit.

(lacht) Da sehe ich eine Wand. Aber wenn ich aus der Haustür trete, dann blicke ich auf das Theater.

Was hat dich denn nach Deutschland geführt?

Ich kannte die Sprache schon. Das war ein Kriterium. Amerika und die englische Sprache, das war auch eine Option, aber mit Amerika gibt es keinen Schüleraustausch, kein Amerikaner geht nach Polen.

Also Deutschland. Und während ich hier in Deutschland bin, wohnt im Austausch eine Brasilianerin bei meinen Eltern.

DEUTSCHLAND UND DIE PFANDFLASCHE

Mit welchen Vorstellungen bist du hier nach Deutschland gekommen? Und: Hat sich diese Sichtweise während der Zeit, die du hier bist, verändert?

Meine Erwartung: Ich war ganz offen. Aber eine Erwartung: Pfandflaschen. In Polen weiß man, Deutschland, da hat man Pfandflaschen. In Polen gibt es das nicht, außer bei Alkohol in Glasflaschen.

Und mein erster Eindruck: Es ist klein, also Nienburg. Das würde bestimmt anders, lustig. Und hier fahre ich mit dem Fahrrad zur Schule. In Warschau immer mit dem Bus.

Was fällt dir denn auf, wenn du Polen mit Deutschland vergleichst? Also: Land, Leute, Lebensstil, Mentalität…

Ich finde, Deutsche lächeln meist. In Polen ist das Lächeln nicht üblich auf der Straße, da ist das Gesicht eher ausdruckslos. Aber wenn man lächelt, dann ist das so gemeint. In Deutschland weiß ich das nicht so. In Polen geht man sehr auf andere zu, versucht ständig zu helfen. Und beim Essen: In Polen, also – in meiner Familie, isst man viel mehr Gemüse, Omelette, Käse, aber weißen Käse, keinen gelben. Und Piroggen, das ist ein Nationalgericht. In Deutschland dagegen, jedenfalls in meinen Gastfamilien, viel mehr Fleisch. 

IN POLEN FLIEGT MAN BEIM STÖREN RAUS

Du hast nun Unterrichtserfahrung an der ASS gesammelt. Was hast du beobachtet?

In Polen ist das Schulsystem anders. Es gibt ein kleines Abi in der 8. Klasse, in Mathe, einer Fremdsprache und Polnisch. Dann geht man auf ein Lyzeum von der 9. bis zur 12. Klasse. Und wenn man gute Noten hat, kann man auf ein gutes Lyzeum gehen, wenn nicht, geht man auf ein niedrigeres.

Welches Notensystem gibt es denn in Polen?

Hier gibt es andere Noten. In Polen gibt es die Noten 1 bis 6, aber 6 ist die beste.

Und welchen Eindruck hast du von Lehrern und Schülern im Vergleich zur Polen?

In der Klasse ist es hier sehr laut, viele quasseln im Unterricht. In Polen fliegt man beim Stören raus. Und in Polen gibt es mehr Einzelarbeit. Dazu mehr Arbeiten, nämlich eine Arbeit pro Monat. Das Mündliche ist nicht so wichtig. Aber es gibt Punkte für Aktivitäten, zum Beispiel, wenn man an der Tafel etwas anschreibt.

VON SPIEßEN UND KARTOFFELN

Gibt es etwas, das dir an unserer Schule ganz besonders aufgefallen ist?

Mir gefällt das Doppelstundenprinzip. In Polen ist das einstündig.

Über das Deutsche sagt man immer, es sei eine schwierige Sprache. Kannst du das bestätigen?

Und hast du da vielleicht Lieblingswörter für dich entdeckt?

Mein Lieblingswort ist Spieß, das Wort ist auf Polnisch ähnlich, nämlich szpikulec. Und Kartoffeln, in Polen heißen sie (umgangssprachlich, Anm. d. Red.) kartofle. Das ist eine regionale Bezeichnung, wir sagen auch oft ziemniaki.

„IN KRAKAU SIND JUGENDLICHE SEHR ALTERNATIV”

Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen deutschen und polnischen Jugendlichen oder ähneln sich Jugendliche sehr?

Was mir aufgefallen ist, aber das ist auch, weil Krakau eine große Stadt ist und Nienburg eine kleine: Haare zu färben ist in Krakau sehr in. Krakau ist sehr alternativ, in Warschau ist es traditioneller. In Nienburg färben sich Jugendliche die Haare eigentlich kaum.

Was waren bisher denn deine ‚Highlights‘ hier in Deutschland?

Ich fand Berlin sehr gut.

BROTPROBLEME UND MATHESTUDIUM

Bald geht es für dich wieder zurück in deine Heimat. Was strebst du dann an?

Hm, Mathe studieren, wenn ich ein gutes Abi mache. Ich weiß aber noch nicht, welchen Beruf ich machen werde.

Wenn du zurück nach Polen gehst: Was nimmst du mit aus deinem Jahr in Deutschland?

Sicher bessere Sprachkenntnisse, ich kann nun viel schneller sprechen. Grammatik fällt mir noch schwer.

Was nehme ich mit? Das ein oder andere Kleidungsstück. Aber kein Brot. Ich mag kein Kastenbrot. Brot muss rund sein. Ich backe auch selbst Brot. Und ich werde das Quasseln mit Klassenkameradinnen missen. Aber wenn mich jemand in Polen besuchen möchte – sehr, sehr gerne.

Vielen Dank für das Interview.

Vh

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