Beeindruckende Reise in die Vergangenheit

Erster Kurs „Alte Handschriften“ an unserer Schule erfolgreich abgeschlossen

Rezept Lebkuchenfiguren

Der Reiz, alte Papiere aus den Schularchiven wieder zum Leben zu erwecken, war groß: Einige Teilnehmer meldeten sich auch, weil sie zu Hause alte Familienbriefe entdeckt hatten und die Ersten sein wollten, die diese nach Jahrzehnten lesen und verstehen. Wer weiß, welche Geheimnisse in den alten Manuskripten verborgen liegen?

Vor drei Wochen war es endlich so weit: Knapp 30 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 6 bis 13 trafen sich erstmals im Gebäude am Nordertorstriftweg, um zu lernen, wie man historische, handschriftliche Dokumente entziffert. Bis vor etwa 100 Jahren sah die Handschrift nämlich ganz anders aus als heute – statt der uns geläufigen lateinischen Buchstaben dominierte bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts die sogenannte Kurrentschrift. Da diese an modernen Schulen kaum noch gelehrt wird, ist die Fähigkeit, alte Texte zu lesen, beinahe verloren gegangen. Dabei besitzt unsere 500 Jahre alte Schule eine Fülle von Dokumenten, die spannende Einblicke in ihre Geschichte bieten.

Kursleiter und Stadtarchivar Sebastian Hartwig machte es den Anfängern – zu denen auch interessierte Eltern und Lehrkräfte gehörten – denkbar leicht. In der ersten Sitzung erhielten alle eine Kopie, auf der das alte und das moderne Alphabet gegenübergestellt waren. Zunächst wurde gemeinsam analysiert, welche Buchstaben einander ähneln und welche besonderen Merkmale die Kurrentschrift auszeichnen. Danach starteten die Leseübungen: Bereits in der ersten Doppelstunde entzifferte die Gruppe einen Lageplan eines alten Bauernhofs sowie ein antikes Rezept für Lebkuchenfiguren. Durch den Vergleich der schwierigen, alten Buchstaben mit den modernen Pendants stellten sich rasch Erfolgserlebnisse ein – unabhängig vom Alter. Alle Teilnehmer, ob Sechstklässler, ältere Schüler oder Erwachsene, starteten aus völliger Unkenntnis und entwickelten bereits nach der ersten Sitzung ein spürbares Erfolgsgefühl. Dies war auch der sorgfältig ausgewählten Textauswahl von Sebastian Hartwig zu verdanken.

In der zweiten Woche wurde es anspruchsvoller: Ein alter Text aus dem Schularchiv, der das Schulleben während des Ersten Weltkriegs schilderte, stand auf dem Programm. Der Bericht vermittelte eindrucksvoll die Herausforderungen, denen die Schule aufgrund des Ausfalls von Lehrkräften und der freiwilligen Meldung vieler Schüler zum Militär ausgesetzt war – ebenso wie die damals spürbare Kriegsbegeisterung im Jahr 1915. Während viele Väter an der Front kämpften und ihren Kindern zu Hause nicht helfen konnten, wurde nachmittags eine Hausaufgabenbetreuung eingerichtet. Die Schüler bastelten Landkarten, um den Frontverlauf zu markieren, sammelten Anleihen bei Eltern, Bekannten und Nachbarn zur Kriegsfinanzierung und übten das Lesen militärischer Karten. Mit Hilfe dieses authentischen Textes begaben sich die Kursteilnehmer auf eine regelrechte Zeitreise in die Vergangenheit Nienburgs.

Beim dritten Termin wurde der historische Text fortgesetzt – und es stellte sich heraus, dass bereits zahlreiche Schüler und ehemalige Absolventen der Schule im Krieg gefallen waren. Der pathetische Umgang mit diesen Todesfällen, die damals als Heldentode gefeiert wurden, erschütterte viele Kursteilnehmer, die im Jahr 2025 eine völlig andere Einstellung zu kriegerischen Auseinandersetzungen haben als ihre Vorgänger vor über 100 Jahren. Das Lesen, Entziffern und „Übersetzen“ des Originaltextes brachte die Geschichte auf eine Weise näher, wie es moderne Geschichtsbücher oft nicht vermögen.

Die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv verlief äußerst unkompliziert und unbürokratisch. Alle Teilnehmer – Schüler, interessierte Eltern und Lehrkräfte – zeigten sich durchgehend engagiert und konzentriert, auch wenn es manchmal herausfordernd wurde. Damit wurde eindrucksvoll bewiesen, dass auch größere, heterogene Gruppen gemeinsam mit alten Schriften umgehen können.

Aufgrund der positiven Erfahrungen und der großen Resonanz wird der Kurs in absehbarer Zeit erneut für interessierte Schüler, Eltern und Lehrkräfte angeboten. Zunächst erwartet alle Absolventen des bisherigen Kurses eine spannende Exkursion ins Stadtarchiv, bei der Sebastian Hartwig die Gruppe persönlich in Empfang nehmen und das eine oder andere Geheimnis aus Nienburgs Vergangenheit enthüllen wird.

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