Kunst vor Gericht: Urteil erster Klasse!
Ausstellung >Kunst im Amtsgericht< von Albert-Schweitzer-Schule und MDG feiert erfolgreiche Premiere/ Amtsgerichtsdirektor Bernd Bargemann huldigt der Schülerkunst
Ein Urteil wird gesprochen. Erwartungsvoll richten die Besucher im Großen Sitzungssaal des Nienburger Amtsgerichts ihre Blicke hinauf zum Richterpult. Bernd Bargemann, der Direktor des Amtsgerichts, vertritt heute das Hohe Gericht. Niemand sitzt, Jung und Alt haben sich erhoben oder straffen die Körperhaltung, der Besucherandrang zu diesem besonderen Richterspruch hat die knapp bemessenen Sitzgelegenheiten weit überfordert. „Normalerweise geht es hier um zwei bis drei Jahre Gefängnis und die Sache ist meist ernst und traurig“, setzt der Direktor des Amtsgerichts an. „Heute jedoch bin ich hocherfreut, die erste Ausstellung >Kunst im Amtsgericht< eröffnen zu dürfen.“
Ein schöneres Urteil ist wohl selten vor Gericht gesprochen worden, ein gerechteres kaum denkbar angesichts der schönen Künste, die am Mittwoch, dem 22. 2. 2012, um 17:30 Uhr der ‚Prozesseröffnung‘ >Kunst im Amtsgericht< entgegensahen. Beinahe mehr Besucher, als der Saal fassen konnte, wurden dann Zeugen einer wohlgelaunten Eröffnungsrede Bernd Bargemanns. Nachdem dieser den anwesenden Kunstlehrern, allen voran ASS-Kunstfachobmann Matthias Tofaute, und den Schulleitern der beiden Schulen, Dr. Ralf Weghöft von der ASS und Eckhard Hellmich vom MDG, für das Zustandekommen der Kunstausstellung ausdrücklich dankte, räumte er gegenüber den anwesenden Schülerinnen und Schülern, die die über 100 Exponate im Kunstunterricht geschaffen hatten, ein, dass Kunst sein schlechtestes Fach in seiner Schulzeit gewesen sei. Mit seinem Urteil über die Werke der jungen Künstler stellte er dann jedoch unter Beweis, dass Justitia zwar blind ist und Recht ohne Ansehen der Person spricht, gegenüber der Kunst aber Augenmaß wahrt: „Es sind wirklich tolle Werke, ich bin schwer beeindruckt.“
Wer offenen Auges die Vernissage betrachtete, konnte Bilder in zahlreichen Stilrichtungen in Augenschein nehmen. Surrealistische Werke buhlten mit Expressionistischen um Aufmerksamkeit, Elemente des Comics und naturalistische Details sorgten für Beziehungsreichtum und Spannungsfelder im selben Bild. Als besonders stilistisch gekonnt und auslegungsfähig zeigten sich die Variationen zum Thema ‚Das Fenster als Ort der Kommunikation‘, vier Exponate, die mal in surrealistischer Bildsprache, mal in comicartiger Zuspitzung oder scheinbar leicht fassbarer Gegenständlichkeit das Fenster als Pforte zur Seele und als deren Zerrbild zeigten oder den Fensterrahmen als Öffnung für das Individuum wie dessen Begrenzung begriffen.
Interessierte Besucher, die sich vom Amtsgericht nicht hinter ‚Schwedische Gardinen‘ schicken lassen wollen, sondern vor Fensterbilder und weitere Bilder mit Aussichten und Einsichten, können diese Gelegenheit in den nächsten Monaten in den Fluren des Nienburger Amtsgerichts, Berliner Ring 98, wahrnehmen. Die Kunstausstellung bildet den Auftakt einer Ausstellungsreihe, die ASS, MDG und das Amtsgericht von nun an einmal im Jahr zu jeweils einer neuen Vernissage zusammenführen soll. Und um dem Direktor des Amtsgerichts zu antworten: Zwei bis drei Jahre? Gerne lebenslänglich!
Thomas Volkhausen