Friedrich Schiller und Georg Büchner: Historisches Treffen im Giebelsaal
Zwei der bekanntesten Schriftsteller der deutschen Literaturgeschichte waren im Giebelsaal zu Gast. In ihren Vorträgen legten sie ihre Literaturtheorie dar und begründeten, was für sie gute Literatur ausmacht.
Den Mitgliedern des Deutschkurses von Herrn Toepfer, die als Zuhörerinnen und Zuhörer exklusiv eingeladen waren, wurde schnell klar: Die beiden deutschen Dichter haben sehr unterschiedliche Auffassungen davon, wie Literatur sein und was sie leisten soll.
Den Schülerinnen und Schülern kam zugute, dass sie sich zuvor im Unterricht mit Schillers Idealismus und Büchners Realismus-Konzept auseinander gesetzt hatten. Es fiel ihnen also leicht, die Reden der beiden Autoren nachher aufzuschreiben und für euch und die Nachwelt festzuhalten.
Dass sich die beiden berühmten Persönlichkeiten in Wirklichkeit nie begegnet sind, sich nie begegnen konnten, störte da nicht weiter…
Doch lest selbst!
SCHILLER I
Idealismus, das ist der rechte Weg. Nicht so plump und grob wie der sogenannte Realismus und seine Anhänger. Georg Büchner, wenn ich den Namen schon höre! Ich meine, wie kommt man nur auf die sagenhafte Idee, das Drama als Geschichtsbuch zu verwenden? Was für eine grässliche, abscheuliche und missbrauchende Idee!
Wenn ich etwas über die Geschichte der französischen Revolution nachlesen möchte, dann kaufe ich mir ein Geschichtsbuch. Das ist weitaus informativer und zudem sachlicher als „Dantons Tod“. Wo soll denn da der Sinn sein? Und langweilig ist es doch auch, wenn man schon jede Einzelheit kennt.
Ein Drama ist doch zu weitaus mehr in der Lage. Es zeigt uns Tugenden auf, welche wir nachahmen wollen und verbindet Vergnügen mit Bildung. Das Drama ist für jedermann zugänglich, egal aus welcher Schicht und welchen Lebensumständen er oder sie auch kommen mag, und jeder kann die Welt um einen herum vergessen und den Alltag hinter sich lassen. Wie ich einst sagte, wird „das Unglück mit fremdem Kummer ausgeweint“ und man geht wieder frisch in die eigentliche Welt zurück. Aber einen Gedanken oder besser ein Gefühl besitzen alle während dieser Zeit: Mensch zu sein.
All diese Effekte kommen natürlich erst richtig zur Geltung, wenn man sich das Schauspiel auf einer Bühne ansieht. Das Sichtbare wirkt viel länger und inniger als das Geschriebene und kann dabei wirksamer sein als gängige Moral und Gesetze.
Außerdem glaube ich, dass poetische Personen als Symbole für die Allgemeinheit stehen sollten und nicht einfach nur historische Charaktere, die vielleicht auch noch Dinge sagen, die sie zu ihrer Zeit wirklich sagten. Das finde ich persönlich äußerst langweilig und lässt auch überhaupt keinen Spielraum für Interpretationen.
Mein Konzept der schönen Seele ist natürlich ebenfalls von großer Bedeutung: Die Wandlung eines Charakters zu beobachten, wie er sich über das Drama hinweg zu einer schönen Seele formt, ist eine große Bereicherung für uns. Wir können daraus lernen und sehen, dass wenn sich Vernunft und Triebe vereinen etwas Wunderbares entsteht.
Maria Stuart ist da ein hervorragendes Beispiel. Wer hoffte nicht, dass sie ihrer Hinrichtung doch noch entgeht, und trotzdem war sie nicht von Anfang an perfekt. Sie wurde es aber mehr und mehr und das ist der Punkt.
Als letztes möchte ich noch anführen, dass dieser Verbrecher von Büchner sich auch noch dazu veranlasst sah, das Drama, so wie es seit Aristoteles bestand, nämlich in einem übersichtlichen und geschlossenen Rahmen, mit strenger, regelmäßiger und durchformter Sprache und hohen Personen, die durch ihre Dialoge auch die Handlung vorantreiben, zu revolutionieren und geltende Gesetzmäßigkeiten komplett über den Haufen zu werfen, sodass er nur Chaos schuf und nichts besser machte.
Ich hoffe, dass ich Ihnen deutlich machen konnte, wie viel besser die Idealismus gegenüber dem Realismus ist und wie viel mehr er bei uns bewegt.
Fabian
SCHILLER II
Sehr geehrte Damen und Herren,
Was sollen uns Drama und Literatur bringen?
Das Drama und die Literatur sollen wunderbare Gefühle hervorrufen. Die Menschen sollen in die lebendige Welt eintauchen und dabei die Probleme und Strapazen des Alltags hinter sich lassen.
Dabei möchte man nur von schönen Dingen berieselt werden und nicht von Unheil geplagt werden.
Was bringt es uns also, die Grausamkeiten und abscheulichen Geschehnisse der Geschichte zu erfahren? Es macht uns traurig, ja, es führt uns noch zu Depressionen. Wir wollen unseren Kummer vergessen und genießen, wir möchten glücklich sein. Warum sollten wir also keine geringfügigen Abweichungen vornehmen? Wir entscheiden wie es auf wirken soll.
Außerdem gilt für mich Maß, Gesetz und Formstrenge. Ein Drama muss eine einheitliche und lineare Handlung haben, sie muss abgeschlossen und konsequent sein. Vor allem sollte in einer einheitlichen und geformten Hochsprache gesprochen werden.
Es muss also eine eindeutige Struktur und Gliederung geben, außerdem sollten die Protagonisten einen hohen Stand haben.
Des Weiteren soll durch Drama und Literatur das Empfindungsvermögen verbessert werden und unser Herz soll sich öffnen. Das Drama und die Literatur ist etwas Wunderbares, was uns den Alttag vergessen lässt und unsere Gefühle anregen soll.
Deshalb sind Werke von Realisten wie Georg Büchner schrecklich, da man in diesen nichts Schönes serviert bekommt, sondern das blanke Elend. Wenn man sich also mit so etwas beschäftigen wollte, könnte man sich einfach ein Sachbuch der Geschichte durchlesen, denn darin stecken, genauso wie in Werken der Realisten, keine Gefühle. Es ist keine wahre Kunst so etwas zu verfassen. Von den Idealisten kann man lernen. Diese stellen die wunderbare Welt dar und man kann sie sich zum Vorbild nehmen.
Mika
SCHILLER III
Meine Damen und Herren, Dichter, Poeten und Anhänger der Dichtkunst!
Viele von ihnen, ja wenn ich nicht sogar zu sagen vermag: ALLE kennen meine Werke und insbesondere die Damen. Doch nun wurde mir zugetragen, sie seien irreführend und nicht der Bezeichnung Dichtkunst würdig. Welch lasterhafte Person sich solche Anschuldigungen zu verbreiten erlauben darf, blieb mir bis zum heutigen Tage schleierhaft!
Meine Dramen vermitteln die Kunst, Geschehenes mitzufühlen und zu ertragen. Sie verbinden Menschen aller Zonen und Stände und öffnen die Wege zu den Herzen, mag die Person auch noch so stark und mutig wirken. Die Dichtkunst ist eine Kunst, die man nicht erlernen kann, man muss sie fühlen!
Wie kann es also für richtig befunden werden, wenn Dichter wie Georg Büchner, auf jede Grausamkeit herab blickend, sich den Frevel erlauben, für langweilige Geschichtsbucheinträge zu sorgen? Wie kann das Mitgefühl eines Menschen durch das Breittreten von Fakten erreicht werden? Dramen sollten geschrieben werden, um ein Tor zu öffnen, ein Tor zu einem Zufluchtsort, in eine Fantasiewelt. Nur in dieser künstlichen Welt können wir die wirkliche hinweg träumen. Allein dies sollte der Grund,sein Dramen zu schreiben.
Meine Werke sollen Bildung und Vergnügen verbinden, Geschehenes erklären und die Fantasie anregen. Es stärkt die Empfindung und die Leidenschaft. Mit welch herrlichen Empfindungen, Entschlüssen, Leidenschaften schwellt die Kunst unsere Seele, welch göttlichen Ideale stellt sie uns zur Nacheiferung aus! Es ist die Kunst reales mit Fantasie zur verbinden und somit die Herzen der Leser zu entflammen! Es ist eine Kunst, die andere Dichter nicht verstehen, nicht wahrnehmen können!
Dramen werden geschrieben, um nur einer Empfindung Raum zu lassen. – Es ist diese, ein Mensch zu sein!
Lisa
SCHILLER IV
Liebe Leser, Dichter und Poeten,
wir leben in einem Zeitalter, in dem Kenntnisse gefunden und preisgegeben werden sollten, jedoch fehlt es an Mut und Energie die Trägheit und Feigheit hinter sich zu lassen. Mit meinen Stücken und Dramen möchte ich die Welt und somit auch die Menschen besser machen, denn ist es so, dass wir die Dinge formen und nicht die Dinge uns! So ist das, was die Welt braucht und dass was das dringendste Bedürfnis der Zeit sein sollte, Gefühl und Empfindungsvermögen zu haben.
Dies ist mein Ziel, das ist das, was ich mit meinen Werken erreichen möchte. Ich möchte, dass diejenigen die gestresst, genervt sind und große Last auf ihren Schultern tragen, von alldem befreit werden. Sie alle sollen anfangen zu träumen und ihr Empfinden soll erwachen. Die heilsame Leidenschaft wird sie in ihren Bann ziehen, die Unglücklichen werden zu weinen beginnen und somit ihren Kummer verlieren. Doch auch die Glücklichen sollen nüchtern werden und die Sicheren besorgt. Die Unmenschen beginnen zu empfinden und die Weichlinge werden zu Männern.
Es ist egal welchem Stand man angehört, wie viel Leid man schon ertragen musste, denn es kommt zur Sympathie, was zur Verbrüderung führt. Denn am Ende eines Stückes gibt es nur eine Empfindung im Raum und zwar die Erkenntnis ein Mensch zu sein. Ist dies nicht das wichtigste, gemeinsam etwas zu schaffen und Geborgenheit zu spüren?
Eine Tragödie, so wie ich sie schreibe, soll sie in das Reich der Träume, Geschichten, Vergangenheiten und Zukunft bringen, sie auf Schicksale aufmerksam machen und ihnen helfen diese zu ertragen. Wenn man so etwas liest soll eine Brücke zwischen zwei gegensätzlichen und so unterschiedlichen Sachen geschaffen werden, so soll Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung und Kurzweil mit Bildung verknüpft werden. Und dies alles mit dem einen Gedanken und zwar den Menschen zu verbessern. Denn in uns allen steckt etwas, was der Aufnahme der Wahrheit im Wege steht. Wir brauchen Mut und Energie, um so etwas wie Feigheit und Faulheit zu überwinden.
Wir brauchen Empfindungsvermögen, denn dies ist ein Mittel zur verbesserten Einsicht des Lebens. Danach sollten wir alle streben, denn wollen wir nicht alle zum positiven Menschenbild erzogen werden?
Nina
SCHILLER V
In letzter Zeit macht eine Unsitte die Runde, eine neuartige Form dramatischer Gestaltung, für die ich nur Verachtung übrig habe: das realistische Prinzip auf der Schaubühne. Es wird namentlich von einem gewissen Herrn Büchner aus einem Dörfchen bei Darmstadt vertreten, ein junger, in Literaturfragen gänzlich unerfahrener Mann, der sich erdreistet, unser Theater zu beschmutzen, zu vergiften und einer langen Tradition den Garaus machen will. Es ist eine Tradition, die zurückreicht zu den Alten, zu Aristoteles, zu Sophokles, die einen Shakespeare vorweisen kann und – in unseren Tagen – den großen Dichter, meinen Freund: Goethe.
Was will dieser hessische Hitzkopf? Die Welt zeigen, wie sie ist? Menschen von Fleisch und Blut auf die Bühne bringen? Der Geschichte, wie sie sich „wirklich“ begeben hat, nahe kommen? – Das ist, mit Verlaub, die Idee eines Kranken, eines Mannes, dem die Mühsal des Alltages offenbar noch nicht ausreicht, der noch mehr leiden möchte, als wir in unserem irdischen Leben ohnehin schon leiden müssen.
Ich sage: Nicht wie die Welt ist, soll das Theater zeigen, sondern wie sie sein soll. Wir brauchen Beispiele, Ziele, Visionen! Wir brauchen Helden, zu denen wir aufschauen, die wir bewundern, die wir verehren können! Und wir brauchen einen Ort, in dem wir uns auch unterhalten lassen können, Abstand gewinnen von unseren Beschwernissen, eine künstliche Welt, in der wir die wirkliche hinwegträumen können. Ja, ich sage, „künstliche Welt“ und ich befinde mich damit in guter Gesellschaft – und nicht in einer von Huren, Mördern, verirrten Naturen, wie sie Herr Büchner in die Theaterhäuser zu bringen gedenkt.
Woran fehlt es uns? An Vernunft. Ja. Und an Kraft, unsere Vernunftschlüsse zu – leben. Der Weg zum Kopf muss durch das Herz geöffnet werden! Und: Wie das? Wir müssen die Menschen empfinden machen: Mitgefühl zu schenken und es zu steigern, ist das Gebot der Stunde. Wir brauchen ein Ziel, für das es sich lohnt zu leben! Wir brauchen ein Ideal, dem nachzueifern eine Lust ist! Diese Ideale – diese Idole – finden wir auch im Theater. Eine Maria Stuart, die kämpft, die hofft, ihre innere Freiheit und ihren Stolz bewahrt, noch im Tod – sie gibt uns ein Beispiel!
Was tut Büchner? Er zerrt Besoffene, Ehebrecher, Mörder, diesen ganzen ungebildeten, stinkenden Pöbel auf die Bühne. Wozu? Wer das einfache Volk sehen will, der gehe auf die Gasse oder ins Wirtshaus und sperre Augen und Ohren auf! — Wer sich bessern, sich bilden, sich beflügeln lassen will, der gehe ins Theater: der Ödipus von Sophokles, die Medea von Euripides, Shakespeares Hamlet, Goethes Iphigenie und – ja – auch meine Maria Stuart: Sie machen den Menschen sittlicher und unsere Welt besser.
Herr Toepfer
BÜCHNER I
Sehr geehrte Damen und Herren und Literaturliebhaber,
mir wurde gesagt, meine Werke seien unsittlich und noch dazu keine Dichtkunst.
Ich scheue mich nicht, deshalb mich fertig machen zu lassen, noch dazu von Personen, welche vor sich hin reden und nicht den Sinn der echten und authentischen Literatur begriffen haben.
Ich, Georg Büchner, habe mich mit meiner Auffassung zur Literatur dafür entschieden, ihnen richtige Literatur entgegenzubringen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass der dramatische Dichter in meinen Augen ein Geschichtserzähler ist, welcher die Geschichte zum zweiten Mal erzählt, um dieser wieder ein Stück Wirklichkeit und Einfühlsamkeit einzuflößen.
Das Ziel dieses dramatischen Dichters ist es doch, die Geschichte dem Leser so nah wie möglich zu bringen, um sie wieder neu aufleben zu lassen.
Des Weiteren möchte ich anmerken, dass die Geschichte somit nicht für Frauenzimmer geschaffen ist und darüber hinaus auch die weltliche obszöne Sprache nicht ausschließt.
Ich sage euch damit, dass der Dichter kein Lehrer der Moral ist, sondern die Aufgabe der konkreten Nacherzählung hat. Wichtig ist es dann, dass die Leute etwas aus den Werken des dramatischen Dichters lernen, so gut wie möglich.
Des Letzteren würde ich mich noch einmal gerne auf Schiller aussprechen, der lediglich die Geschichte so erzählt, wie sie sein sollte, aber nicht wie sie sich wirklich zusammengetragen hat.
Deshalb möchte ich euch aufrufen, der wahren und echten Literatur des dramatischen Dichters zu folgen und nicht der Literatur des Schiller,welche die Realität in seinen Werken nicht nacherzählt, sondern sogar verändert!
Oliver
BÜCHNER II
Auf die Einladung vieler Kritiker komme ich heute zurück und äußere mich zu dem, was sie sagen.
Ich würde unmoralisch sein.
Aber das ist doch der Sinn von Literatur, die Wahrheit über Vergangenes zu verbreiten, die Geschichte neu zu erzählen – und so wird es nun einmal unmoralisch.
Ich bin nicht einer dieser Idealisten wie Schiller – wir Realisten lügen nicht! Die Idealisten verschaffen euch ein falsches Bild, sie führen euch in die Irre. Moralapostel der Literatur – sie predigen Moral, wo keine Moral vorhanden ist.
Aber das ist falsch, sie verbreiten somit Lügen! Wir, die Dichter und Denker, haben es uns als Aufgabe gemacht euch zu bewegen. Ihr sollt Leid und Freud, Abscheu und Bewunderung mit den Charakteren fühlen.
Nun frage ich euch: Schaffen das all diese sogenannten Idealdichter, die allesamt nur Figuren eines Marionettenspielers sind?
Ich sage euch: Nein, man fühlt kein Leid und Freud! Nein, man bekommt weder Abscheu noch Freude eingeflößt!
Sie haben ihre Aufgabe verfehlt! Es sind keine Geschichtsschreiber, sie lügen und betrügen.
Ich mache es wie Goethe und Shakespeare es schon taten. Ich erzähle die Geschichte zum zweiten Mal, versetze euch in die damalige Zeit. Ich schaffe Charaktere, nicht nur Charakteristiken. Ich schreibe nichts als die Wahrheit nieder.
Warum sollte ich eine Figur, die weder moralisch noch sittlich war, als moralisch und sittlich darstellen? Um euch zu täuschen? Um die Zeit schöner, toller und besser darzustellen als sie war? Das ist nicht meine Aufgabe, denn ich verfasse Dramen und keine Märchen!
Dichter sind nichts anderes als Geschichtsschreiber, es ist unsere Pflicht, geschehene Ereignisse so wiederzugeben wie es sich zugetragen hat. Bloß auf einer spannenderen Art und Weise als all diese Geschichtsschreiber in ihren Geschichtsbüchern.
Zum Ende hin müssen Sie, verehrtes Publikum, selbst entscheiden was Ihnen lieber ist. Ich gebe gerne zu, dass ich selbst die Kunst des Dichtens zu perfekt beherrsche, aber ich bin stets bemüht.
Ich möchte nichts mehr, als die Wahrheit von vergangenen Zeiten zu verdeutlichen, auch wenn es noch so grausam ist. Denn letzendlich ist nichts wichtiger als die Wahrheit!
Nele
BÜCHNER III
Meine Damen und Herren!
Ich freue mich sehr darüber, dass sie heute so zahlreich erschienen sind um sich eine Meinung über Literatur zu verschaffen – und zwar die einzig richtige Meinung!
Wie ist die Literatur, oder vielmehr: Wie sollte sie sein? Viele von Ihnen werden sicherlich denken, dass ein gutes Buch von der Realität ablenken und fabelhafte Geschichten erzählen soll… dies, meine Damen und Herren, ist falsch.
Wenn sie so etwas behaupten, dann belügen sie sich selbst! Nur Idealdichter würden einen solchen Unfug von sich geben! Was diese "Dichter" veröffentlichen sind verweichlichte, abscheuliche und inakzeptable Lügen!
Literatur sollte wie das wirkliche Leben sein: Knallhart und ohne Gnade. Schauen sie aus dem Fenster. Jeden Tag geschehen dort draußen widerliche Gräueltaten! Warum also sollte die Literatur anders sein?
Ein gutes Buch soll uns in die Vergangenheit zurückversetzen und die Geschichte, so wie sie tatsächlich stattfand, ein weiteres Mal erzählen. Die Geschichte ist nun mal von Blut getränkt und von Leichen übersät und wir können rein gar nichts dagegen tun. Das ist unser Schicksal.
Ein gutes Buch soll uns dabei helfen, mit dieser schmutzigen Welt fertig zu werden und nicht davon ablenken.
Ein gutes Buch erzählt dreckige Geschichten, weil die Welt dreckig ist!
Lukas
BÜCHNER IV
Liebe Dichter, Poethen und die, die wir damit begeistern!
Ich richte nun einen Appell an euch, der verhindern soll, was schon längst geschehen.
Die himmelblauen Nasen, welche die Geschichte in ihre träumerische Märchenwelt zerren, so dass nichts als lächerliche Verspottung unserer Welt entsteht, ja, sie sind der Auslöser für die folgende ungebildete und naive Generation. Wie soll der Mensch aus Fehlern lernen, wenn er sich diese nicht eingesteht? Warum sollte die grausame Wirklichkeit, die uns heute so prägt, eine liebliche Gestalt annehmen? Wir wollen uns die Welt nicht verzerren, damit sie in unseren Gedanken Platz findet.
Wer etwas zu bemängeln hat, richte seine Beschwerde an Gott. Unsere Aufgabe ist es die Geschichte wieder zur Gegenwart zu machen und diese so präzise wie uns nur möglich in eure Hände zu legen und ihr dürft euch dann selbst heraus schließen, was ihr euch aus vergangener Zeit nehmt, lernt, versteht und weitergebt. Wer Moral sucht, der findet sie anderswo nur nicht in der Geschichte. Das Handeln war unsittlich, doch wem hilft eine gelogene Erzählung, welche uns den Kopf vertrocknet?
Wenn wir die Liederlichkeit unsere Charaktere schildern wollen, so müssen sie eben liederlich sein. Wenn wir die Gottlosigkeit zeigen wollen, so müssen wir sie eben wie Atheisten sprechen lassen. Wenn einige unanständige Ausrücke vorkommen, so denke man an die weltbekannte, obszöne Sprache der damaligen Zeit, wovon das, was wir unseren Charakteren sagen lassen, nur ein schwacher Abriss ist.
Wie sich einst das französische Volk von seinen Zwängen versucht hat zu befreien, so befreien wir uns vom heutigen Tag an von den feigen Ohren, die sich für die Wahrheit schämen. Schlagen wir also eine neue Seite in den Geschichtsbüchern auf und erzählen den Neugeborenen von der wahren Bedeutung unserer Schriften!
Maria
BÜCHNER V
Guten Morgen meine Damen und Herren!
Erst einmal vielen Dank, dass sie so zahlreich erschienen sind. Ich möchte ihnen heute etwas über unsere Kunstauffassung, den Realismus, erzählen. Wir sehen die dramatischen Dichter als Geschichtenerzähler. Wir erwecken die Geschichte zum zweiten Mal. Die Idealisten jedoch behaupten, es wäre unsittlich so zu schreiben, vor allem Friedrich Schiller, ein Vertreter des Idealismus.
Doch wir sehen das anders! Schiller entfernt sich immer weiter von der Wirklichkeit und nun sagt mir, wie kann man davon etwas lernen? Friedrich Schiller macht vieles falsch und nun liegt es an uns den Idealismus zu bekämpfen!
Für uns hat es höchste Priorität den Leser so gut es geht in die Geschichte hineinzuversetzen, wir möchten so nah wie möglich bei der Realität bleiben. Manche von ihnen mögen sich immer noch Fragen, warum wir so nah an der Geschichte schreiben. Dazu kann ich ihnen nur versichern, dass man dadurch viel mehr lernt.
Manche werden vielleicht abgeschreckt vom Fatalismus der Geschichte sein, doch so ist die Geschichte nun mal. Wir würden uns auf keinen Fall als Idealdichter bezeichnen, denn für uns sind die Figuren der Idealdichter nur Marionetten und bewirken keine richtigen Gefühle beim Leser.
Und nun eine klare Ansage: Wir Realisten müssen die Schlacht gegen die Idealisten gewinnen! Nieder mit dem Idealismus! Nieder mit Schiller! Nieder mit diesen unrealistischen und unnatürlichen Werken!
Lennart
BÜCHNER VI
Wider die Idealdichter!
Ach, wie sehr erfreut es einen, wenn man die Zeit findet, ein Drama zu lesen. Ein Drama sollte den Leser in die damalige Zeit hineinversetzen und wahrheitsgetreu die Historie abbilden, im Großen und Ganzen soll es die Geschichte wieder aufleben lassen. Doch, wenn ich mir die Werke von Friedrich Schiller anschaue, läuft mir ein kalter Schauder den Rücken herunter. Was bildet sich dieser Mann ein?
Er entflieht vor der Wirklichkeit mit seinen Erzählungen und enthält dem Menschen die wahren Geschehnisse der Geschichte vor. Beim Schreiben eines Dramas darf man kein Blatt vor den Mund nehmen, es müssen auch unanständige Begriffe vorkommen, die Geschichte darf auf keinen Fall beschönigt werden. Der Herr von Schiller entfernt sich sehr weit von der historischen Wirklichkeit Englands zu der Zeit von Königin Elisabeth um der Gefälligkeit des eigenen Dramas willen.
Für mich hat es oberste Priorität, dem Menschen das Gefühl zu geben, dass er sich gerade in dieser historischen Zeit befindet. Dadurch wird das historische Wissen der Menschen erweitert. Die dem einzelnen Menschen innewohnende Gewalt, die durch entsetzliche Lebensumstände entstanden ist und der jeder von uns unter gleichen Bedingungen anheimfallen würde, spielt in den Werken Schillers keine Rolle. Die einzelnen Charaktere sind wie menschliche Marionetten gezeichnet, denen typisch menschliche Empfindungen und Gewaltausbrüche fehlen.
WEG MIT DIESEN IDEALDICHTERN, DIE VOR DER REALITÄT ENTFLIEHEN!
Jan-Elias
BÜCHNER VII
Verehrte Interessierte der deutschen Literatur,
was erwarten wir von guter Literatur? Was gibt uns die Literatur? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich schon lange. Endlich habe ich eine Antwort gefunden.
Ich, als Dichter, möchte ihnen, verehrte Zuhörer, die Geschichte so servieren, wie sie wirklich war. Die Literatur soll die Geschichte genauestens, in allen Details und vor allem der Wahrheit entsprechend wiedergeben. Zu dieser Wahrheit gehören schöne Dinge, aber ebenso abscheuliche. Falsch ist es die abscheulichen Dinge zu verschweigen, um die Literatur für junge Mädchenzimmer gebrauchbar zu machen. Kein Blatt vor den Mund zu nehmen und die Menschen über die Geschichte aufzuklären, das ist die Aufgabe des Dichters.
Was haben wir von einer Geschichte, die umgeschrieben wurde? Es ist besser sich gar nicht mit Literatur zu beschäftigen, als sich mit den Werken der Idealisten zu befassen. Gerne komme ich hier auf Friederich Schiller zu sprechen. Für ihn ist es das Ziel der Literatur, Gefühle in den Menschen hervorzurufen. Für mich ist das Verrat an der Geschichte! Er nimmt es in Kauf die Menschen zu belügen, um Gefühle hervorzurufen.
Aber weshalb beschäftigen wir uns denn eigentlich mit der Literatur? Wir möchten etwas von der Wahrheit erfahren und nichts von Gefühlen. Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht.
Friederich Schiller hat sich den Gefühlen verschrieben. Der Dichter verpflichtet sich nur der Wahrheit!
Tom
BÜCHNER VIII
Meine Damen und Herren, ich, Georg Büchner möchte ihnen heute den Realismus näher bringen. Wir, die Realisten, positionieren uns ganz klar gegen den Idealismus. Und Sie werden nach meiner Rede der gleichen Überzeugung sein.
Wir sehen den dramatischen Dichter als Geschichtenerzähler, wir lassen die Geschichte ein zweites Mal erwecken und orientieren uns an der Wirklichkeit. Natürlich kann man über unsere Werke sagen, dass diese unmoralisch und unsittlich sind. Doch wir wollen die geschichtlichen Ereignisse präzise und wahrheitsgetreu wiedergeben. Und nun frage ich Sie: Weist die Geschichte nicht auch unmoralische, gar unsittliche Elemente auf? Wir sehen uns nicht als Lehrer der Moral, sondern als Geschichtenerzähler, der die Geschichte wahrheitsgetreu und spannend wiedergibt.
Wir Realisten sind der Überzeugung, jeder Mensch ist gleich, wenn jeder die gleichen Voraussetzungen hat. Nur durch äußere Einflüsse werden die Menschen und damit auch deren Charaktere beeinflusst. Die Welt schafft uns, nicht wir die Welt! Die Charaktere in unseren Werken werden nicht verändert. Warum sollte einen unmoralische Person auf einmal moralisch sein? Nur weil sie in einem Buch vorkommt? Nein! Wir behandeln unsere Figuren nicht als Marionetten. Nur der Idealismus tut dies, doch dabei können keine Wirklichen Gefühle entstehen. Wir lassen den Leser in die damalige Zeit eintauchen!
Der Idealismus strebt nach einem Ideal. Sie bauen eine Scheinwelt auf. Doch kann man dann noch etwas aus diesen Werken lernen? Nein! Es wird nichts Wirkliches geschrieben, somit kann, sollte und wird man nichts aus diesen Werken lernen können. Deswegen denke ich wird die Entscheidung nicht schwer fallen, ob man ein Werk von Idealisten, welches langweilig und viel zu detailliert ist, oder ein Werke von Realisten liest, welches spannend ist und die Geschichte widerspiegelt.
Alles im allem bietet der Realismus eine Zeitreise in die Geschichte. Wir suchen nicht nach dem Ideal, sondern geben die Wirklichkeit spannend wieder.
Und nun lasst uns sagen: Hoch lebe der Realismus, nieder mit dem Idealismus!
Dominik